Bericht von Dr. Rüdiger Oesterheld
„Dies ist keine kurze Zusammenfassung oder gar ein fröhlicher Erlebnisbericht über den erfolgten, humanitären Einsatz im April 2024 in Afrika, vielmehr möchte ich interessierten Menschen aus allen Arbeitsbereichen und vor allem Altersstufen meine sehr individuellen Informationen geben, um sich realistisch – gepaart mit Idealismus – für ähnliche Projekte zu begeistern und eine aktive Teilnahme in Erwägung zu ziehen, denn Hilfe ist weltweit bitter nötig.“
1. Der Entschluss
Ich hatte Ende 2022 die Übergabe meiner mehr als 30 Jahre geführten Zahnarztpraxis „besiegelt“ und gleich danach beschlossen, ab Mitte 2023 vorbereitend etwas „Neues/Sinnvolles“ in meinem Ruhestand zu tun. Also fragte ich bei der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ nach, ob ich als Zahnarzt mitarbeiten könne. Dort wurde mir freundlich, aber bestimmt mitgeteilt, dass sie dort Chirurgen, Orthopäden, Gynäkologe, Hebammen, Physiotherapeuten, Krankenschwestern, Kfz-Mechatroniker, aber nun wirklich keine Zahnärzte bräuchten!
Zudem sei „Ärzte ohne Grenzen“ häufig direkt in Kriegsgebieten tätig und sehr häufig großen körperlichen Strapazen und Gefahren ausgesetzt, um Menschenleben zu retten. Zahnprobleme seien dort eher nachrangig. Es gäbe aber eine Art Pendant: „Zahnärzte ohne Grenzen (Dentists Without Limits Federation – DWLF)“, dort solle ich nachfragen.
Finanziell sind die beiden Organisationen sehr unterschiedlich aufgestellt: Ärzteinnen und Ärzte, Helferinnen und Helfer in Mission der „Ärzte ohne Grenzen“ bekommen ein Gehalt oder eine Aufwandsentschädigung; die Kosten für Unterkunft und Verpflegung werden von der Organisation übernommen. Zu den Konditionen bei einer Mission als Teilnehmer bei DWLF komme ich später.
Ich nahm Kontakt zu DWLF auf. Relativ schnell erhielt ich Informationen über die Organisation, deren Tätigkeitsprofil und die Einsatzorte mündlich und durch die gut strukturierte Homepage. Die Geschäftsstelle ist in Nürnberg: Dort wurde der Verein im Jahr 2004 als Stiftung gegründet und 2018 in einen eingetragenen Verein überführt. Sehr viel wird dort ehrenamtlich gearbeitet. DWLF finanziert sich ausschließlich über finanzielle Spenden und Sachzuwendungen.
Im Frühjahr 2023 fand in Nürnberg die Jahreshauptversammlung statt, an der ich schon als akkreditierter AD (Active Dentist) teilnahm. Einige ADs berichteten mit Präsentationen von ihren Einsätzen. Ich lernte den Project Manager Europa (PME) und den Project Manager im Gastland (PMG), Herrn Aimé Quamdessou, persönlich kennen, der mich euphorisch für sein Projekt in Togo anwarb.
DWLF war schon in der Mongolei im Einsatz. Aktuell arbeiten Teams in Namibia, Tansania, Sambia, auf den Kapverden und in Togo. Ich erfuhr von den körperlichen Strapazen, die allein durch die Hitze entstehen, von der sehr einfachen Infrastruktur, der hohen Nachfrage zahnärztlicher Leistungen und der großen Dankbarkeit der Patienten.
Für Togo gab es damals zu wenige angemeldete Zahnärzte, also meldete ich mich für Togo, ohne zu wissen, was mich erwartet. Ich war zu der Zeit noch vollverantwortlich in meiner eigenen Praxis im nordhessischen Gudensberg als Zahnarzt tätig, hatte die immer noch gefühlt neuen PAR-Richtlinien umzusetzen, Personalentscheidungen zu treffen und bis April 2023 noch die Corona-Auflagen zu erfüllen. Im Laufe des Jahres 2023 festigte sich mein Entschluss, erst nach der Praxisabgabe im Frühjahr 2024 den Einsatz in Togo zu realisieren. Aber schon ein halbes Jahr vor der anvisierten Mission begann ich mit konkreten Vorbereitungen.
2. Vorbereitung
Bereits im Frühjahr 2023 beantragte ich meine Registrierung bei der DWLF, um eine ID-Nr. und einen offiziellen Ausweis der DWLF zu erhalten – eine der Grundvoraussetzungen, um überhaupt Teilnehmer an einer Mission werden zu können. Folgende Dokumente sind erforderlich:
- Approbations- und Promotionsurkunde,
- Antrag für die Akkreditierung als AD (Active Dentist) mit Foto und Lebenslauf in Englisch
- Certification of Good Standing (wird von der LZKH gegen eine Gebühr von 30 € ausgestellt)
DWLF akkreditiert Zahnärzte mit mindestens drei Jahren Berufserfahrung zu ADs. Zahnärzte mit weniger als drei Jahren Berufserfahrung werden als ADH (Active Dentist Helper) eingesetzt.
Die Sekretärin der Geschäftsstelle verwies auf die Leitlinien der DWLF. Sie seien eine unverzichtbare Voraussetzung, da gerade die ethischen Grundlagen das Handeln bestimmten. Eigentlich sollte jede und jeder in einem medizinischen Beruf Tätige nach diesen Leitlinien denken und handeln: „Für andere Menschen nützlich sein!“
Teilnehmer an den DWLF-Missionen arbeiten ausnahmslos ehrenamtlich. Sie zahlen alle anfallenden Kosten persönlich: Reisekosten, Visa-Gebühren, Hotelunterkünfte, Verpflegung. Zudem zahlen aktive Zahnärztinnen und Zahnärzte noch einen Einsatzbeitrag, sind außerdem für die eigene Schutzkleidung und Gesundheitsvorsorge verantwortlich. Das beginnt mit den Impfungen. Empfohlen werden Impfungen gegen: Gelbfieber (Einreisevorschrift für Togo), Malaria, Cholera, Typhus, Meningokokken, Hepatitis, Tollwut, Tetanus, Polio, Grippe (ggf. Covid-19 nicht vergessen). Die jeweils geltenden Anforderungen sind bei der togolesischen Botschaft zu erfragen.
Zu beachten ist, dass die Gelbfieber-Impfung nur in speziellen Impfzentren angeboten wird. Mit Blick auf mögliche Unverträglichkeiten ist empfehlenswert, die Impfungen rechtzeitig vor dem Einsatz vornehmen zu lassen. Ich habe jeweils vier Impfungen an einem Tag bekommen und gut vertragen. Der persönliche Impfnachweis muss im Einsatzland ständig vorzeigbar sein! Selbstverständlich übernimmt jeder/e für sich das volle Risiko seiner Gesundheit, lediglich eine Haftpflichtversicherung wird seitens der DWLF gestellt. Allerdings gibt es für eine Infektion weiterhin keinen optimalen Schutz: AIDS!!
Kostenaufstellung für eine 2-wöchige Togo-Mission:
Impfkosten je nach PKV/GKV und Notwendigkeit: | ca. 600 EUR |
Visum für Togo, aktuell nur 14 Tage im Voraus: | ca. 80 EUR |
Certification of Good Standing, stellt die LZKH aus: | 30 EUR |
Einsatzbeitrag für aktive ZA/ZÄ (gilt nicht für Ruheständler): | 450 EUR |
Anfahrt zum Flughafen: | ca. 40 EUR |
Hin- und Rückflug bei Frühbuchung, 3 Monate (ggf. auch teurer): |
650 EUR |
Hotel je nach Belegung / Einzelzimmer 14 Tage: | 1.200 EUR |
Verpflegung/Getränke/Abendessen: | 300 – 500 EUR |
Tropenkleidung, Schuhe, Hemden nach Bedarf: | ca. 400 EUR |
Medikamente, Bohrer, Instrumente nach Bedarf, als Spenden für die Behandlungen. Jeder brachte etwas mit! | 600 EUR |
GESAMT | 4.500 EUR |
Der Zeitaufwand für die Mission liegt bei mind. drei Wochen: zwei Wochen für den Einsatz und – als Empfehlung – eine Woche für die Akklimatisierung vor Ort. Zusätzlich sollte der Auslandsversicherungsschutz individuell geklärt werden. Eine uneingeschränkte Rückholversicherung ist sehr zu empfehlen, da DWLF in Krisen nicht dafür zuständig ist. Selbstverständlich sollten private Vorsorgen bis hin zum Testament getroffen werden.
3. Kontaktaufnahme und Erkundungsbesuch in Togo, 12/2023
Nachdem alle Impfungen erfolgreich durchgeführt worden waren, besann ich mich auf einen fast 20 Jahre lang vertrauten guten Freund, der mir in 2005 im Rahmen eines VHS-Kurses mit großer Freude versucht hatte, Französisch näher zu bringen, Adegbola Faustin Adéyè. Er ist in Togos Nachbarland, Benin, geboren und aufgewachsen, kam zum Sprachstudium nach Deutschland (Romanistik, Erwachsenenbildung, 10 Jahre Forschung und Lehre an der Uni Kassel und Würzburg). Er hat in Hessen seine Familie gegründet und war von 2012-2022 Landesvertreter für den Misereor e. V. in Kinshasa und in Bamako, in Niger/Kongo im Einsatz. Gemeinsam mit Herrn Adéyè flog ich im Dezember 2023 für geplant fünf Tage nach Benin/Togo, um die westafrikanische Welt in fachlicher und vor allem landeskundlich geprägter Begleitung kompakt zu erfahren. Diese Idee erwies sich als Glücksgriff, denn ich konnte in dieser Zeit Land und Leute kennenlernen, bis hinein in private Familienkreise, eine einmalige Chance, von der ich bei der geplanten Mission im April 2024 noch ausgiebig profitieren sollte.
Wir besuchten u.a. Adéyès Schwester, eine Krankenschwester im Gesundheitswesen, seinen Bruder, einen Chirurgen der einzigen Lepra-Klinik in der Küstenregion in Benin, die wir ausgiebig besichtigen durften. Dr. Ayodéle Amboise Adéyè ist plastischer Chirurg und arbeitet seit mehr als 25 Jahren im Centre de Dépistage et la Lèpre et de l´Ulcère de Buruli, „Raoul et Madelaine Follerau de Pobè“. Lepra, eine für mich nicht mehr existierende Krankheit aus den letzten Jahrhunderten – dort ist sie lebendig!
Mit Leihwagen und Fahrer konnten wir in den fünf Tagen bis in den tiefsten tropischen Urwald zu einer Kokosnuss-Schnapsbrennerei, zu Märkten, zum Denkmal der Sklaverei – ein erdrückendes Mahnmal –, zu Kirchen und Schulen und dann auf dem einzigen von China gebauten Highway über die Grenze nach Togo fahren.
Überall ist Polizei präsent. Immer wieder hatten wir Art und Zweck unserer Reise zu erklären: Am besten „Vacances“ (Urlaub) angeben, niemals Zahnarzt, der arbeiten wird! Adéyè hatte ganze Arbeit geleistet und uns überall angemeldet. So empfingen uns der Bürgermeister von Aného – einem der späteren Einsatzorte – und Rechtsanwalt Alexis Coffi Aquereburu. Er dankte ausdrücklich den Menschen, die freiwillig, ohne Profit, zahnmedizinische/-technische Hilfe leisten. Wir sprachen mit dem Verwaltungsstab des Hospitals: Centre Hospitalier Prefectoral D`Aného Ich sah die heruntergekommene Zahnstation, in der angelernte Kräfte behandelten oder es versuchten. Der Posten des angestellten Zahnarztes konnte bis heute nicht nachbesetzt werden. In einem Stockwerk darüber arbeiten die DWLF-Teams zweimal jährlich für jeweils zwei Wochen.
Überall wurden wir herzlich willkommen geheißen und mit Trinkwasser versorgt. Später fuhren wir in das entlegene Aképè und besichtigten den dortigen Sanitätsstützpunkt, der auch Hospital genannt wird. Ich bekam beim Anblick des überdachten Arbeitsplatzes im Stil eines Pavillons eine Ahnung, was uns dort erwartet. Der Bürgermeister, Herr Ayawli Kwaku, lud uns zum Mittagessen unter freiem Himmel ein. Falls ich gleich oder später dort langfristig arbeiten würde, sicherte er mir ein Haus mit Servicepersonal zu. Ich begann zumindest zu überlegen …
Tatsächlich gibt es in Togo keine Kranken-, Arbeitslosen-, Unfall- oder gar Rentenversicherung. Wer krank wird, hat verloren!
Adéyè hat gefühlt überall Verwandte, so besuchten wir noch seinen verwitweten Schwager, einen ehemaligen UNO-Mitarbeiter, der in der Schweiz arbeitete. Er erklärte uns, dass es eine Art medizinische Grundversorgung für die Beniner gäbe. Das wurde mir später von der offiziellen Repräsentantin/Westafrika der „Hans-Seidel-Stiftung“ für Togo nicht bestätigt: Tatsächlich gibt es dort keine Kranken-, Arbeitslosen-, Unfall- oder gar Rentenversicherung. Wer krank wird, hat verloren!
4. Praxisende, das war´s – mit großer Dankbarkeit an alle
Auf dem Rückflug hatte es bei der Zwischenlandung an der Elfenbeinküste auf dem Rollfeld einen Unfall gegeben, was meine Rückreise um drei Tage verlängerte. Daheim fehlte ich aufgrund der unfreiwilligen „Verlängerung“ bereits einen Tag in der voll bestellten Praxis. Noch aus dem Zug wurden Termine mit der Rezeption neu vereinbart. 1½ Wochen später war mein letzter Arbeitstag in der eigenen Praxis.
Es gab ein emotionales Abschiedsfest mit dem Team, mit der Familie, mit Freunden und Wegbegleitern, das ich vier Monate mit Hilfe guter Freunde detailliert vorbereitet hatte. Ich bedankte mich bei allen Menschen, die mit mir zusammen die letzten 30½ Jahre den Praxisbetrieb ermöglicht hatten. Praxis heißt Team-Work! An diesem Abend gab es einen Spendenaufruf für DWLF, Togo. Am 28. Dezember 2023 hatte ich nochmal Notdienst, dann war das Kapitel Kassenzulassung zum 31.12.2023 endgültig abgeschlossen.
5. Echte Vorbereitung für die angemeldete Mission Togo
Ende Januar 2024 meldete ich mich bei DWLF per Mail für April 2024 als AD im Team Togo. Der Projektmanager im Gastland, Aimé Quamdessou, nahm zeitnah Kontakt mit mir auf, erstellte eine WhatsApp-Gruppe mit allen Teilnehmern und vermittelte einen Telefonkontakt zu dem bereits festgelegten, erfahrenen Gruppenleiter Stefan Olek (AD + GL), der mir in einem ausführlichen Gespräch die ersten Ausrüstungstipps gab und empfahl, den Flug rechtzeitig zu buchen, um Kosten zu sparen!
Zusammen mit Adéyè buchte ich alle Flüge bei Air France und gelangte nach vielen Anläufen über die Homepage der togolesischen Botschaft an mein Touristenvisum. Wir dürfen nicht als Zahnärzte, sondern als Urlauber einreisen. Das Visum wurde allerdings später in Togo von 30 Tage auf 14 Tage zurückgestuft und musste gegen erneute Gebühr aufwändig während der Mission vor Ort verlängert werden. Das übernahm alles Aimé.
Ich widmete mich der weiteren auch körperlichen Vorbereitung auf mein Vorhaben, intensivierte beispielsweise meinen jahrelang regelmäßig praktizierten Ausdauersport Bikeintense (flexibel zweimal wöchentlich im Fitness-Studio). Ende Februar nahm ich an einem vierstündigen Charity-Bikeintense-Marathon teil. Unter Anleitung absolviere ich seit mehr als fünf Jahren wöchentlich „Sportphysiologisches Muskelaufbautraining“. Zusätzlich buchte ich einen Französisch-Kurs in einer Sprachschule. Allmählich wurde mir die Sprache wieder vertrauter, allerdings lerne ich mit 65 Jahren alles wesentliche langsamer. Aber das Interesse für die französische Sprache war wieder geweckt!
Über mich:
Alter: | 65 Jahre |
Körperliche Verfassung: | regelmäßiger Ausdauersport, medikamentenpflichtig, Arthrose in beiden Knien |
Fachl. Voraussetzungen: | Tätigkeitsschwerpunkte Endo/Impl/Paro |
Curricula: | KFO, LZKH-Gutachter, AKJ-Leiter und Qualitätszirkel |
Fremdsprachenkenntnisse: | Englisch, Französisch (geringe Kenntnisse) |
Ich kaufte knöchelhohe, wüstenfähige Wanderschuhe – die ich in Togo tatsächlich permanent trug –, sodass ich auch bei Regen im Matsch geschützt war. Ich erwarb tropentaugliche Schutzkleidung, ein Moskitonetz und ergänzte meine Ausrüstung um spezifische Patches, die an der Kleidung bei Bedarf: Name, Nationalität und DWLF-Zugehörigkeit sichtbar machten. Eine Reinigung war durch die Klettadhäsiv-Verbindung ohne die Patches möglich. Zudem stattete ich mich mit einem persönlichen Medikamentenvorrat aus, der für die doppelte Zeit der Mission reichen würde. Dokumente verwahrte ich als Kopien in unterschiedlichen Fächern, in Gürtel und Brustbeutel. Ein Reserve-Ladekabel mit Netzteil lag außerdem bereit.
Für die eigentliche zahnärztliche Arbeit nahm ich 50 neue Hartmetall-Knochenfräsen, mehrere Päckchen medizinische Handschuhe in meiner Größe, Mundschutz, Spülspritzen aus Metall und Antibiotika mit. Wasserfeste Pflaster, Fingerschutz, wie sie typischerweise im ärztlichen Bereich Anwendung finden, sollten die persönliche Ausrüstung vervollständigen. Eine OP-Schutzbrille ist obligatorisch.
Das wichtigste Ausrüstungsteil neben Handschuhen ist eine hochwertige lichtstarke LED-Op-Stirnlampe mit starkem Akku, die bequem sechs bis acht Stunden getragen werden kann bzw. muss. Hier haben sich Akkus gegenüber Batterien deutlich bewährt (ab 100 €). Die Op-Stirnlampe ist absolut unverzichtbar, da es keine stationären Op-Lampen gibt, selbst drei gut gehaltene Handylampen sind in der Ausleuchtung intraoral wertlos!
Für unser prospektives „Feld-Dental-Labor“ konnte ich einen handlichen, akkubetriebenen Bike-Kompressor mitbringen, der gute Leistungen für den Druck bei der Polymerisation erzielte. Aus den Erfahrungen meiner Erkundungsfahrt im Dezember 2023 stellte ich einen Tagesrucksack mit den Utensilien für den Fall zusammen, dass ich längere Zeit ohne Koffer mit Inhalt zurechtkommen müsste (er kam damals erst nach vier Tagen am Zielort an). Mückenschutz jeglicher Art ist dringend geboten, ebenso ein Leinenschlafsack als „Schlafhülle“, wie er vor Jahrzehnten in Jugendherbergen üblich war.
6. Anreise nach Togo zur Mission Aného und Aképè
Im April 2024 gab es immer wieder Streiks bei der Deutschen Bahn. So musste neben der Bahn bis kurz vor dem Abflug eine Anfahrt mit PKW von Kassel nach Frankfurt zumindest als „Plan B“ vorbereitet sein. Die Anfahrt klappte mit Ersatzzug! Abflug von Frankfurt/Main nach Paris, vier Stunden Aufenthalt, Weiterflug nach Lomé/Togo. Dort Ankunft gegen 21 Uhr. Ich wurde von einem Kontaktmann ausfindig gemacht. Leider galt mein Visum mittlerweile nicht mehr für die gebuchten und bezahlten 30 Tage, sondern nur noch für 14 Tage! Das wurde jedem Reisenden zeitaufwändig erklärt. Dann ging es nachts per Taxi zum Hotel, dort kam ich nach insgesamt 17 Stunden Reisezeit wohlbehalten mit Koffer an. Es waren auch nachts im April über 30 Grad Celsius!
„Leider nutzen viele Spender den Spendenaufruf zu Entsorgung überlagerten Materials.“
Zur Akklimatisierung war ich freiwillig drei Tage vor dem Zusammentreffen des Teams angereist. Zusammen mit dem Projektmanager Aimé fuhr ich in der Zwischenzeit zum Standort, wo das gespendete Verbrauchsmaterial – via Container angeliefert – zur Sichtung und Abholung bereitstand. Leider nutzen viele Spender den Spendenaufruf zu Entsorgung überlagerten Materials. Da fanden sich Tupfer mit Ablaufdatum der Verwendbarkeit von 2004 und Handschuhe aus dem Jahr 2014! Wir nahmen trotzdem alles mit …
Aimé nutzte unsere Zeit bis zum Beginn der eigentlichen Mission, um mir seine Baustelle für ein neues Waisenhaus für Kinder und Jugendliche mit Handicaps zu zeigen.
Am Samstag traf das restliche Team ein: Insgesamt waren wir vier Zahnärzte, zwei zahnärztliche Fachassistentinnen und eine zahntechnische Meisterin. Somit musste eine ZMF mit zwei ZÄ arbeiten! Das war natürlich nicht so geplant. Ich möchte an dieser Stelle auch heute noch diesen beiden ZMFs das größte Kompliment aussprechen: Sie arbeiteten täglich unvorstellbar bis zur Grenze der Erschöpfung und haben den Erfolg unserer Arbeit erst ermöglicht. Danke!
An dem gemeinsam verbrachten Wochenende vor unserem Einsatz lernten wir uns kennen und erfuhren von dem erfahrenen Gruppenleiter Stefan, der bereits zweimal hier in Togo war, wie die Abläufe sein würden. Seiner ruhigen, häufig humorvollen Art ist es zu verdanken, dass wir alle Probleme effektiv lösen konnten. Danke, Stefan!
7. Der Einsatz, wir wurden gefordert …
Die Mission bestand aus zwei einwöchigen Einsätzen in je zwei verschiedenen medizinischen Einrichtungen, an getrennten Orten. Das Team wurde aufgeteilt, und nach einer Woche wurden die Einsatzorte gewechselt. Lediglich die Zahntechnik verblieb in Aného. Dorthin wurden wir am Sonntag gefahren, bezogen in einem am Lac Togo gelegenen Hotel Quartier und wurden von dort am Montag direkt ins örtliche Hospital gefahren.
Die Fahrt führte uns fernab der Hauptstraße inmitten der dörflichen Struktur in den lokalen Sanitätsstützpunkt, den sie stolz Hospital (s. o.) nennen. Die Patientinnen und Patienten waren vorab per Radiodurchsagen und Plakate auf die Möglichkeit hingewiesen worden, sich kostenlos von deutschen Zahnärzten behandeln zu lassen. Die Patienten waren größtenteils zu Fuß weite Wege schon in der Nacht zum Hospital gelaufen und warteten bereits seit Stunden! Dies allein war für uns Verpflichtung, alles zu versuchen, um zu helfen.
In Aného konnten wir in einem klimatisierten, sauberen Bereich arbeiten. Es gab drei einfache Klappliegen und luftgesteuerte Koffereinheiten, die in drei mit Sichtschutz getrennten Abschnitten standen. Die Instrumente wurden „zentral“ gewaschen und aufbereitet, „gekocht“ und anschließend auf einem weißen Leinentuch auf einem großen Tisch unverpackt ausgebreitet. Schnell hatten wir eine systematische Ordnung unserer bekannten Instrumente hergestellt und konnten mit der Arbeit beginnen.
Die Patienten waren sehr geduldig. Wir konnten uns einfach, aber ausreichend verständigen, hatten immer die Möglichkeit, einen Übersetzer hinzuzubitten und konnten in jedem Fall den notwendigen Eingriff mit den jeweiligen Patientinnen und Patienten abstimmen. Wir mussten immer ohne Röntgentechnik in sehr kurzer Zeit Entscheidungen fällen und dann je Patient entscheiden, welche Maßnahme die dringendste war. In Frontzahnregionen habe ich bei Bedarf gern Schneidekanten aufgebaut, solange wir Füllungsmaterialien hatten. In Seitenzahnregionen wurde überwiegend extrahiert, oft osteotomiert – das war ohne Röntgenbilder, die Aussagen über den Wurzelverlauf zulassen, nicht immer leicht.
Wir konnten die Aussagen anderer Kolleginnen und Kollegen bestätigen, dass die Knochenkonsistenz westafrikanischer Kiefer durchgehend sehr, sehr fest sei. Häufig musste mit Knochenfräsen gearbeitet werden, bei sehr eingeschränkten Sichtverhältnissen, externer Spritzen-Spülkühlung, mäßig bis sehr schlechter Absaugleistung und nicht immer ergonomischer Arbeitsposition. Ein Hocker für die Assistenz musste erst organisiert werden. Wir arbeiteten immer die ganze Zeit ohne Pausen durch, also von 9 bis 15 Uhr, weitgehend parallel, sodass alle Einheiten genutzt wurden. Es konnte auch länger dauern.
„Ich werde die Menschen nicht vergessen, die jeden Tag vor unserer Station geduldig in großer Zahl erwartungsvoll warteten, oftmals sehr geschwächt, schlicht bekleidet, aber lächelnd.“
Die Instrumente wurden teilweise optimiert, so konnten wir in „unserem Labor“ die Hebel an den Kanten schärfen. Die Patientinnen und Patienten waren alle sehr, sehr dankbar, das spürten wir auch ohne Worte! So war dies allein schon eine starke Motivation für uns, den Menschen irgendwie zu helfen. Wir mussten fast immer schwerpunktmäßig Entscheidungen treffen, eine Folgebehandlung, Wundversorgung war nicht möglich. Ich werde die Menschen nicht vergessen, die jeden Tag vor unserer Station geduldig in großer Zahl erwartungsvoll warteten, oftmals sehr geschwächt, schlicht bekleidet, aber lächelnd.
Bei unserer Mission wurde zunächst einmal von Juliane Albrecht (ADT), der zahntechnischen Meisterin, mit bescheidenen Mitteln aus abgegebenen Materialspenden ein tatsächlich funktionsfähiges kleines Dental-Labor aufgebaut. Unsere „Jule“ hat in acht Tagen 21 Teilprothesen von hoher Ästhetik angefertigt. Ihr gebührt höchstes Lob, da sie wegen Personalmangels in jeder freien Minute zusätzlich mit am „Stuhl“ half. Überhaupt waren wir ständig gefordert, mit hauseigenen Mitteln zu improvisieren, da zahlt sich unsere Lebenserfahrung aus. Ich selbst war es gewohnt, mit lufttechnischen Einheiten zu arbeiten. So konnte ich einfach Störungen beheben oder wusste, dass das „Zischen“ nicht normal ist. Da wurde auch mal ein Schlauch gekürzt, eine Dichtung nachgezogen – als Zahnarzt ist man eben auch „Handwerker“. Vor Ort war aber auch ein sehr geschickter Techniker, der für Abhilfe sorgte, sodass wir immer mindestens an zwei Einheiten arbeiten konnten.
An die dürftigen hygienischen Bedingungen hatten wir uns gezwungenermaßen schnell zu gewöhnen. Zum Selbstschutz trugen wir oft zwei Handschuhe übereinander und desinfizierten alle Winkelstücke so gut es ging. In den zwei Wochen, genauer neun Behandlungstagen, wählten wir für die geplante teilprothetische Versorgung aus der Fülle der Patienten geeignete Fälle aus. Wir konnten nur einen Bruchteil von ihnen versorgen.
Die Abformungen für die Teilprothetik wurden mit Alginat gut vorgenommen. Da wir nicht viel Pulver hatten, gab es immer nur einen Versuch! Die Patienten machten alles bereitwillig mit. Als dann der Zahnersatz eingegliedert werden konnte, flossen schon mal Tränen vor Freude, auch bei uns …
8. Was nicht passieren sollte, aber immer passieren kann
Trotz aller Umsicht passiert das, was leider nie völlig ausgeschlossen werden kann – davor hat jeder Behandler immer größten Respekt: Ich verletzte mich mit einer kontaminierten Knochenfräse und trug eine tiefen Wunde im Handmuskel davon. Zuerst wurde die dentale Operation beendet. Dann erst informierte ich unseren Projektmanager, der einen hauseigenen Infektionsbeauftragten informierte. Dort wurde ein Protokoll erstellt, dann ein Aids-Schnelltest an dem Patienten und mir vorgenommen – optisch kamen mir die Testutensilien wie ein Corona-Test vor. Das Ergebnis: Beide negativ! Dann bekam ich Medikamente, die ich 28 Tage einnehmen musste. Im Internet versuchte ich alles zu rekonstruieren.
Da der Vorfall sich zum Ende der ersten Woche ergab, nutze ich das Wochenende, um das Ganze mental zu verarbeiten. Es gelang. Um es vorwegzunehmen, auch der 2. Test nach sechs Wochen und der 3. nach sechs Monaten verliefen negativ!
9. Es geht noch schwieriger …
Am zweiten Standort, in Aképè, wurde der Einsatz luftiger, d. h. wir arbeiteten unter einem Dach, einer Art Lodge, die allseits offen war, leider so auch sehr regenanfällig.
Hier waren die Gegebenheiten noch einfacher. Die Instrumente wurden nach dem Prinzip der „Vier-Schüssel-Putzmethode“ gesäubert – d. h. mit der Hand von einer „Salatschüssel“ in die nächste gelegt, immer ein wenig sauberer – und mit einer Nagelbürste gereinigt. Meine Hygienevorstellungen – jahrzehntelang von Autoklaven, Indikatorstreifen, Steriprotokollen, Sterifolientaschen mit Schweißnaht, Datumaufkleber, Validierung und Dokumentation geprägt – landeten in einer Salatschüssel mit irgendeinem Säuberungspulver, vermutlich nicht gelistet. Also fingen wir an, mit diesen Instrumenten, die an der Sonne getrocknet wurden – sie nennen es UV-Sterilisation – zu arbeiten. Nur unsere immer neuen, doppelt übereinander getragenen Handschuhe waren das einzige Relikt unserer zahnmedizinischen Identität.
Leider sollte uns der Stromausfall bei plötzlich einsetzendem Sturzregen zusätzlich zu schaffen machen. Da die Dreier-Steckdosen auf dem Boden in Regenpfützen lagen, war es eigentlich nur gut, dass die Sicherungen „herausflogen“ … Nach dem Regen wurde erstmal gewischt, die Steckdosen wurden ausgeschüttet und nach mehreren Anläufen wurde der Kompressor in den Koffereinheiten hochgefahren. Die Patienten haben immer geduldig gewartet.
Unter der Lodge wurde nebenan parallel das Impfprogramm an Säuglingen durchgeführt, die das nicht toll fanden. Somit hatten wir in Aképè eine interaktive Situation. Zu aller Action kam dann einmal der geschätzte örtliche Bürgermeister mit seiner Wahlkampfmannschaft samt Blaskapelle und Fernsehteam vorbei und erläuterte die Ergebnisse seiner Organisation – so behandelten wir vor laufender Kamera.
Tatsächlich hat der Bürgermeister aber unsere Mission maßgeblich unterstützt: Allein, dass er uns seinen Dienstwagen samt Fahrer für die Zeit in Aképè zur Verfügung stellte, damit wir wieder zu unserem Hotel gefahren werden konnten, war lobenswert. Die Strecke, ca. fünf km, hätten wir abends zu Fuß entlang des Highways auch nicht mehr geschafft. Es waren auch nachts immer noch 30 Grad. Immerhin: Den Bürgersteig teilen sich die Straßenhändler, die Verpflegung wäre also gesichert gewesen.
Ich wurde öfter gefragt, warum der Einsatz in Togo immer nur zwei Wochen dauert? Die Antwort ist simpel: Viel länger hätten die meisten von uns es körperlich nicht geschafft!
10. Zum Abschluss kommt die Schulprophylaxe
Am letzten Tag der Mission geht das Teil-Team aus Aképè traditionell in eine Schule, um in einer ausgewählten Schulklasse Grundschülern das Thema Prophylaxe näher zu bringen.
Wir verteilten Zahnbürsten und erklärten anhand von Modellen die Bewegungen der Zahnbürste. Es war schon interessant zu sehen, dass die „kleinen Kreise“ im Mund sehr gut umgesetzt werden konnten. Jule (ADT) verteilte selbstgefertigte Mäppchen mit Buntstiften – die Freude war sehr groß. Wir konnten Schulen mit Holzbestuhlung und Schultafeln sehen, die unsere Urgroßväter wahrscheinlich so kannten. Prophylaxe ist der Schlüssel zu gesunden Zähnen!
11. Die First Lady Togos bittet um Stimmen für ihren Mann
Der Dienstwagen des Bürgermeisters brachte uns zum Abschluss der Woche direkt zu einer überregionalen Wahlkampfveranstaltung, mit vielen Kapellen. Wir waren Ehrengäste auf der überdachten Tribüne und begrüßten die First Lady des Regierungspräsidenten, als sie vorbeischritt. Beim nächsten Mal werden wir sie von der Sinnhaftigkeit der Prophylaxe in allen Schulen überzeugen – das hatte ich als Idee im Kopf. Wäre ich zehn Jahre jünger, würde ich versuchen, die Prophylaxe in den Schulen in Togo zu etablieren!
12. Fazit der Mission Togo
Alle Vorbereitungen wurden sehr gut von der DWLF-Geschäftsstelle in Nürnberg getroffen und unterstützt. Das bedurfte jahrelanger Erfahrung. Projektmanager Aimé Quamdessou hat sich für den möglichst reibungslosen Ablauf der gesamten Mission permanent hervorragend eingesetzt: Er war Verbindungsmann, Manager und Motivator zugleich, ihm gebührt größter Dank!
Die Bedingungen vor Ort in Togo sind landestypisch einzuordnen. Sehr kritisch sehe ich, dass im Erdgeschoss des Hospitals in Aného eine ehemals vollfunktionsfähige Zahnarztpraxis mit drei Behandlungseinheiten existiert, die ungepflegt in einem erbärmlichen Zustand dem Verfall preisgegeben wird.
Wir haben in neun Tagen mehr als 450 Patientinnen und Patienten behandelt, dabei überwiegend chirurgisch gearbeitet. Meist ging es um multiple Extraktionen; es wurden Osteotomien vorgenommen, aber auch Frontzähne rekonstruiert. Nur dank unserer sehr erfahrenen, hochmotivierten „ADHs“ – ZMF Birgitt Henning und ZMF Nicole Fadre – war diese Arbeit möglich, letztere arbeitete parallel im Team AD Christian Berndt und AD Heng Chen.
ZTM Juliane Albrecht konnte 21 Teilprothesen anfertigen, die von den Patientinnen und Patienten sehr dankbar angenommen wurden. Der Erfolg ist ausschließlich Jules hervorragenden handwerklichen Fähigkeiten zuzuschreiben, da sie mit den einfachsten Mitteln arbeiten konnte und musste.
In der örtlichen Schule wurde leider nur an einer ausgesuchten Schulklasse die Zahnprophylaxe demonstriert, das könnte man erheblich ausweiten. Hier sollte regional und landesweit ein deutlicher Schwerpunkt gesetzt werden! DWLF hat gezeigt, dass es möglich ist.
Es muss das Ziel sein, die zahnmedizinische Versorgung in den vorhandenen Einrichtungen durch qualifiziertes, einheimisches Personal regulär permanent durchführen zu lassen und die Schulprophylaxe landesweit zu etablieren.
Fotos: © Rüdiger Oesterheld
Hinweis: Dieser Beitrag erschien zuerst im Mitgliedermagazin für hessische Zahnärztinnen und Zahnärzte DHZ, Ausgabe 11/12-2024
Zahnärzte ohne Grenzen bittet um Unterstützung:
Altgoldsammeln für ein neues Kinderlächeln
Eine Bitte an geneigte Zahnärztinnen und Zahnärzte: Möchten Sie mit Ihrer Praxis Zahnärzte ohne Grenzen unterstützen und für uns – mit Einverständnis Ihrer Patienten – Altgold sammeln? Sie und Ihre Patienten unterstützen damit vor allem unsere zahnärztlichen Assistenzen und Zahntechniker, welchen wir aus dem Erlös Zuschüsse zu den Einsatzkosten gewähren können.
Wenn Sie uns unterstützen möchten, wenden Sie sich bitte an unseren Beauftragten für das Altgoldsammeln.