von Gabriele Klose
Im April 2023 wurde meine Tochter, seit zweieinhalb Jahren selbständige Zahnärztin, auf einen Aufruf für einen Einsatz für „Zahnärzte ohne Grenzen“, u.a. in Namibia, aufmerksam. Sogleich wurde ich – zwar gelernte Zahnarzthelferin (so hieß es zu meiner Zeit), jedoch erst wieder seit ihrer Selbstständigkeit neben einer anderen, völlig fachfremden Haupttätigkeit in ihrer Praxis, stundenweise nebenberuflich am Start – gefragt, ob das nichts für uns wäre. Ich hielt es eher für einen schlechten Scherz und meine Reaktion war daher etwas verhalten: „Okay…“.
Meine Tochter nahm jedoch sofort Kontakt auf mit Dr. Stefan Rohr und es wurde kurzfristig ein persönliches Treffen anberaumt, um mehr Details zu erfahren und um auszuloten, ob die Chemie stimmt – schließlich würde man zwei Wochen lang Seite an Seite den Großßeil des Tages zusammen verbringen.
Die Chemie stimmte und wir haben noch beim Treffen unsere Teilnahme zugesagt. Für Stefan hat es ganz offensichtlich auch gepasst – er fand das Mutter-Tochter-Gespann „spannend“ – und so hies es für mich: Impfungen abchecken, Auffrischungsimpfungen und neue Impfungen terminieren, meinen Helferinnenbrief aus dem letzten Jahrtausend ausgraben, polizeiliches Führungszeugnis einholen, Fotos für Visum und Arbeitserlaubnis fertigen lassen, internationalen Führerschein beantragen etc.
Das Team in Nürnberg war hier im Vorfeld eine große Hilfe und hat jede Frage beantwortet oder bei diversen Formularen super unterstützt.
Schon bald wussten wir auch wer außeWr mir die zweite zahnärztliche Assistenz sein würde: Anke Lehmann-Fuchs, ehemalige und langjährige Helferin von Stefan und ganz in meiner Nähe wohnend. Für Anke sollte es bereits ihr dritter Einsatz in Namibia werden. Über WhatsApp hatten wir uns gleich in unserer Namibia-Gruppe ausgetauscht und uns (meine Tochter und ich) mit Anke getroffen. Auch diese Chemie stimmte sofort.
Dann ging alles sehr schnell: die Koffer wurden 100mal um- und dann doch endlich final gepackt. An eigener Kleidung sparte ich (schließlich ist es in Afrika ja immer schön warm!) – was ich später noch bereuen sollte – um dafür mehr Verbrauchsmaterial unterzubringen. Am 14. Juli 2023 war es dann soweit.
Unser Team reiste wie folgt:
- Dr. Stefan Rohr (GL)
(war bereits einen Tag vor uns nach Namibia gereist) - ZÄin Ann Christin Klose
- Anke Lehmann-Fuchs (ADH)
- Gabi Klose (ADH)
Samstag, 15.07.2023
Ankunft in Windhoek kurz nach Sonnenaufgang.
Nachdem wir alle durch den Zoll waren (im Vorfeld standen mir Schweißperlen auf der Stirn) und uns draußen begrüßt hatten (Stefan erwartete uns bereits), verluden wir unsere zahlreichen Gepäckstücke im riesigen Hilux und es ging zunächst Richtung Windhoek. – Hier schon gleich die erste Überraschung: Zwei Giraffen labten sich am Straßenrand an Akazienbäumen! In Windhoek sahen wir dann auch die ersten Paviane, die dort ohne Scheu zwischen Menschen herumliefen und nach Fressen suchten.
Weiter ging es auf der B1 Richtung Mariental zu unserer ersten Übernachtung in der Kalahari, wo wir nach dem Einchecken erstmal ein kleines Sonnenbaß, Kaffee und Kuchen genossen.
Um 16 Uhr nahmen wir am Game Drive zum Sonnenuntergang teil und haben die ersten Springböcke, Oryxantilopen, Erdmännchen, Giraffen, Strauße, Zebras, Gnus gesehen. Auf einem roten Sandhügel genossen wir dann den ersten von vielen unvergesslichen namibischen Sonnenuntergängen!
Nach dem Abendessen nahmen wir in der Bar, am Feuer, dann einen ‚Absacker‘ – „Springbock“ (Pfefferminzlikör plus Amarula Cream – und jeder nannte sein persönliches Highlight des Tages. Dies sollte zu einem liebgewonnenen, allabendlichen Ritual werden.
Sonntag, 16.07.2023
Frühaufstehen für den Sunrise Game Drive (wenn schon, denn schon!) mit traumhaften Lichtverhältnissen gepaart mit dem roten Sand – unglaublich! Handys und Fotoapparate waren wieder im Dauereinsatz. Am Sunrise-Spot – dieses Mal ein anderer Hügel – ein verlassenes Straußenei im Sand; – für Touristen drapiert oder Zufall? Egal, es war auf jeden Fall schön!
Weil ja im Juli Winter in Namibia ist (echt?) und es daher noch sehr frisch war, gab es dieses Mal heiße Getränke zum Sonnenaufgang und Stefan lieh mir eine dicke Jacke gegen die Kälte (die ich mir bis zuletzt ausleihen musste).
Gegen Mittag dann Weiterfahrt nach Keetmanshoop und kurz vor dem Ort gegen 16 Uhr Abstecher zu unserem Sundown-Spot – dem „Quivertree Forest“, einer Ansammlung von Köcherbäumen, die üblicherweise meist nur einzeln vorkommen. Zu unserer großen Überraschung und Verzückung gab es auch ein Gehege mit zwei süßen Geparden, die sich gegenseitig die ganze Zeit abgeschleckt haben!
Der Wald selbst war sehr beeindruckend, vor allem wieder mit diesen Farben in der untergehenden Sonne!
Gegen 18:30 Weiterfahrt zur Lodge in Keetmanshoop, in der wir an diesem Tag übernachten und wo wir auch Rachel und Isabella zum Abendessen treffen sollten. Rachel ist die leitende Zahnärztin für die Region ǁKharas (Namibia Süd) und Isabella ist ebenfalls Zahnärztin (aus Zimbabwe). Beide arbeiten in der zahnärztlichen Abteilung der Klinik in Keetmanshoop.
Montag, 17.7.2023 und erste Arbeitswoche:
Nach einem schnellen Frühstück und Auschecken sind wir zur Klinik gefahren, um das ganze Team um Rachel kennenzulernen. Nach einem sehr herzlicher Empfang haben wir uns auf den Weg zum nahen Regierungsgebäude gemacht, um im Ministry of Health & Social Services an einem Meeting mit der Direktorin Sandra Owoses teilzunehmen, die uns für unser Kommen – seit Beginn der Pandemie waren wir das erste Team in Namibia! – dankte und uns viel Erfolg wünschte.
Gegen 10 Uhr dann Aufbruch nach Aussenkehr, wo wir die nächsten knapp zwei Wochen Station machen sollten.
Unterwegs hat sich die Landschaft ständig verändert, die Vegetation wurde immer weniger, Berge kamen und gingen. Meist waren die Straßen so lang wie das Auge reicht und kerzengerade. Wenig Verkehr. Bei jeder verfügbaren Tankstelle auf dem Weg wurde getankt, weil man in Namibia nie sicher sein kann, ob der Sprit zur nächsten noch reicht oder ob es bei der nächsten Sprit gibt oder ob Kartenzahlung funktioniert. Daher sollte man immer etwas Bargeld dabei haben!
Um ca. 13 Uhr kurz Einchecken in der Lodge und sogleich weiter nach Aussenkehr zur „Clinic“ wo uns das ehemalige Postamt als Behandlungsraum zur Verfügung gestellt werden sollte.
Das Strohhüttendorf Aussenkehr sah tatsächlich so aus wie uns das Internet vorher verraten hatte. Außer umliegenden Weingütern (die im „Winter“ natürlich noch nichts Sichtbares tragen) und Dattelpalmenplantagen gibt es dort nur Stroh- und Wellblechhütten. Während der Traubenernte im November erhöht sich die Einwohnerzahl in dieser Region temporär um ein Vielfaches, da es viele Saisonarbeiter in den Süden zieht um Geld zu verdienen.
Vereinzelt sieht man eine Hütte mit einem kleinen Solarpanel als Stromquelle für das Nötigste. Es gibt kein fließendes Wasser, sondern nur Wasserstellen, wo Trinkwasser in Kanistern gezapft, von den Bewohnern zu den Hütten gebracht und Wäsche gewaschen wird. Es gibt vermutlich nur Gemeinschaftstoiletten und wahrscheinlich oder hoffentlich auch ein paar Duschmöglichkeiten. Wir haben uns gefragt, wie man hier leben kann oder wie die Menschen ihre Hütten heizen, denn die Temperaturen lagen nachts und noch am Morgen vor Sonnenaufgang nahe dem Gefrierpunkt (spätestens jetzt wurde mir klar, dass es keine gute Idee war an eigenen warmen Kleidungsstücken zu sparen).
Im krassen Gegensatz zum Strohüttendorf stand die kleine „Einkaufsmeile“ rechts davon am „Ortseingang“ mit einigen kleineren Läden, zwei Bankautomaten und einem SPAR-Markt, in dem wir dann schnell noch Wasser für unsere mobilen Einheiten besorgt haben.
An der Klinik erwartete uns bereits eine Schlange von Patienten, weil im Aushang die Ankunft der deutschen Zahnärzte bereits ab Montagmorgen angekündigt war. Diese Menschen hatten also teilweise schon Stunden geduldig auf uns gewartet!
Kaltstart! Wir haben sogleich angefangen zu behandeln, obwohl wir uns darauf eingestellt hatten uns erst einzurichten. Drei Mitarbeiterinnen, Aletta, eine Zahnarzthelferin aus Karasburg, Courie, eine medizinische Hilfskraft ebenfalls aus Karasburg und Magdalena, ebenfalls eine medizinische Hilfskraft der ‚Clinic‘ in Aussenkehr, hatten jedoch bereits alles vorbildlich vorbereitet und waren uns auch in den folgenden zwei Wochen eine riesengroße Stütze!
Die drei Ladies haben, neben der dort standardmäßigen Blutdruck- und Fiebermessung und dem Abfragen nach der letzten Mahlzeit, Trays mit Vornamen und Spiegel vorbereitet und wir haben 5-7 Patienten nacheinander auf die 2 Stühle geholt und gefragt, wo es weh tut oder bei Vorliegen mehrerer schadhafter Zähne, wo es am meisten weh tut. Auffällig war, dass die Patienten erstaunlich gut den Schmerz lokalisieren konnten, meist auch ohne Hilfe von Klopfen oder ViPr. Dann wurde betäubt und auf dem Papiertuch im Tray die geplante Behandlung notiert, also z.B. „X18 root“.
Nach der Injektion wurden die Patienten wieder nach draußen geschickt, parallel wurden die Trays entsprechend der Behandlung mit Hebel, Zange und Tupfer, gelegentlich auch mit Füllungsutensilien bzw. -Materialien, bestückt. Dann wurden nach und nach die bereits injizierten Patienten aufgerufen und der entsprechende Zahn extrahiert (manchmal auch mehrere nebeneinander oder in mehreren Quadranten). Tupfer rein und fertig waren sie.
Je nach Schwere der Ex/Ost haben unsere beiden AD’s die Gabe von Schmerzmitteln und Antiobiotika angeordnet, um deren Ausgabe sich ebenfalls die drei einheimischen Ladies gekümmert haben. Aletta, Courie und Magdalena hatten in der Zwischenzeit die zum Teil recht zerfledderten Pässe der Patienten mit der erfolgten Behandlung ausgefüllt. Gut, dass wir uns darum nicht kümmern mussten. Sie haben sich auch um die Desinfektion und Sterilisation der Zangen etc. gekümmert, die Desinfektion der Einheiten oblag uns. Wenn die Zeit zwischen den Patienten es erlaubte, halfen wir beim Saubermachen bzw. bei der Neubestückung von Spritzen und Nachfüllen von Verbrauchsmaterialien.
Den ersten Arbeitstag beendeten wir, als es draußen längst dunkel war. Eine kurze Dusche, fast gleichzusetzen mit einer Außendusche (temperaturtechnisch) und los zum wohlverdienten Abendessen.
Unsere Arbeitstage begannen jeweils mit einem schnellen Frühstück bei Sonnenaufgang bei noch sehr kalten Außentemperaturen, waren unterbrochen von einer kurzen Mittagspause und endeten ab dem zweiten Arbeitstag mit dem Sonnenuntergang am Ufer des Oranje hinter den Bergen von Südafrika.
Täglicher Ausklang nach dem Abendessen war unser „Springbock“ sowie die Nennung unserer Highlights des jeweiligen Tages. Immer wieder kamen hier die unglaublichen Farben Namibias und die Herzlichkeit und Dankbarkeit der Menschen im Allgemeinen oder einzelne Erlebnisse während der Behandlungen zur Sprache.
Am dritten Tag war Teamwechsel angesagt, Anke assistierte fortan meiner Tochter und ich assistierte Stefan. Am Abend dann der Schock: Stefan eröffnete uns, dass er aus persönlichen Gründen am nächsten Tag zurück nach Deutschland muss! Kurz kam Panik auf, aber wir hatten absolut Verständnis für die Situation und wir drei Mädels schworen uns aufeinander ein und sagten uns: „Wir rocken das!“
Glücklicherweise waren seit Dienstag auch noch Rachel vor Ort, die leitende Zahnärztin der Karas-Region aus Keetmanshoop und ihr Intern Jonas, die im Rahmen ihres normalen Outreach-Einsatzes ebenfalls in Aussenkehr weilten. So kam es, dass ab Donnerstag, nach Stefans Abreise, ich Rachel an der freigewordenen, mobilen Station assistierte, Jonas alleine arbeitete (ohne mobile Station, nur Ex!) und Anke weiterhin meiner Tochter assistierte, mit gelegentlichen kurzen Wechseln.
Die Beleuchtung, in Deutschland eine Selbstverständlichkeit, war eine echte Herausforderung: Meine mitgebrachte Stirnlampe funktionierte plötzlich nicht mehr, auch nicht mit frischen Batterien. Ein von zwei Akkus einer anderen Lampe gab nach ein paar Tagen den Geist auf, einen solchen Akku bzw. Ersatz gab es leider nicht, Rachel und Jonas hatten überhaupt keine Lampe. Im Supermarkt gab es leider meist nur eine Packung Batterien. So hat immer der eine oder andere mal ohne Licht auch 8er geostet, man mag es kaum glauben, aber es geht!
Die noch funktionierenden Stirnlampen wurden je nach Behandlung oder Bedarf nach Möglichkeit untereinander ausgetauscht. Irgendwann kam dann auch meine Taschenlampe aus der Lodge zum Einsatz und ich habe Rachel damit geleuchtet. Ein dritter Arm wäre hier von Vorteil gewesen, da Abhalten, Saugen und Leuchten gleichzeitig etwas schwierig war .
Es gab so viele Menschen, die Angst hatten, sich auf den Stuhl zu setzen, die aber so dankbar das Angebot angenommen hatten, unsere Hand zu nehmen, zu drücken oder den Kopf zu halten.
Es gab viele Erlebnisse, die uns dabei zutiefst berührt haben: Eine Frau, die sich auf Schmerzen und Komplikationen eingestellt hatte und gar nicht fassen konnte, dass ihr Zahn bereits draußen war, ohne dass sie etwas gespürt hatte, hat ganz spontan meine Tochter zu sich gezogen und umarmt und sich 1.000mal, mit Tränen des Glücks und der Freude, bedankt. In solchen Momenten bekommt man Gänsehaut am ganzen Körper und sagt sich: „Genau deswegen sind wir hier!“ Solche und andere Begebenheiten gab es reichlich – die Betonung liegt hier auf „reich“, denn so eine Dankbarkeit macht einen selbst reich und beschert noch immer Gänsehaut!
Am Samstag, nach Ende der ersten Woche haben wir Drei uns aufgemacht zum Fish River Canyon. Aufgrund von Überflutung war ein Teil der Schotter-/Sandpiste noch einen Tag vorher unpassierbar. Eine verlässliche Information, ob die Strasse wieder passierbar ist, konnten wir nicht einmal von der örtlichen Polizei bekommen. Wir sagten uns jedoch, wir schauen einfach mal, wie weit wir kommen, notfalls kehren wir um. Wir fuhren also von Aussenkehr Richtung Rosh Pinah am Oranje entlang, eine Traumstrecke! Nach Rosh Pinah führte uns dann eine einsame Schotterpiste weiter zum zweitgrößten Canyon der Welt. Nach der Ankunft in der Lodge nahmen wir an der Sundowner-Tour teil. Hier gab es nur wenige Tiere zu sehen, aber der Canyon alleine war die Reise wert und erst recht diese fast schon schmerzhafte Stille und der Sternenhimmel, der von keinem künstlichen Licht gestört wurde!
Am nächsten Morgen standen wir sehr früh auf, hüllten uns in Decken und warteten mit einer Tasse heißen Tee auf den Sonnenaufgang. Langsam färbten sich die Felswände des Canyons rot und das Leben in dieser kargen Gegend erwachte. Nach einem ausgiebigen Frühstück genossen wir noch etwas die Sonne und gegen Mittag traten wir die „Heimfahrt“ nach Aussenkehr an. Für die 94 km Luftlinie benötigten wir rund viereinhalb Stunden, drei Stunden lang ab dem Canyon begegneten uns weder ein Mensch noch ein Auto! Wenn wir da eine Panne gehabt hätten …
Zurück „zu Hause“ am Oranje angekommen, genossen wir wiederum einen tollen Sonnenuntergang und waren stolz auf uns, dass wir den Ausflug ohne Reifenpanne und auch die erste Arbeitswoche so gut gemeistert hatten!
2. Woche, Montag und Dienstag
Jeweils vormittags Besuch in der Schule. In der Schulbibliothek – die erstaunlich gut und liebevoll ausgestattet war – erwarteten wir nacheinander die ersten Klassen. Die Kinder waren sehr höflich und unglaublich diszipliniert, die meisten trugen Schuluniform, der Rest normale Kleidung und vor allem alles, was irgendwie warm hält (Mützen, Decken, Handschuhe etc.), denn in den Klassenzimmern gibt es keine Heizung. Allerdings zerriss es uns fast das Herz: ein Mädchen, mit zerrissenen Socken, ohne Schuhe oder ein anderes Mädchen zitternd vor uns, mit einem viel zu kurzen T-Shirt, kurzem Rock und Flip Flops zu sehen. Das zu sehen tat wirklich weh und wenn wir etwas dabeigehabt hätten, hätten wir es abgegeben, aber natürlich weiß man auch nicht, ob man ihre Würde nicht damit verletzt hätte.
Zwischen den einzelnen Klassen bekamen wir auch einen Einblick in die Pause und das „Pausenbrot“ – die Kinder aßen mit bloßen Fingern – eine Art Maisbrei, von einem Teller, möglicherweise ist das für einige die einzige richtige Mahlzeit des Tages. Da wird einem wieder bewusst, wie gut es uns geht und wie sorglos wir mit Lebensmitteln umgehen…
Jedes Kind mit Behandlungsbedarf bekam einen Holzspatel mit Namen und Behandlungsplan (z.B. ex, 74, 46) mit nach Hause, mit der Bitte, damit in die Klinik zu kommen und einen Elternteil mitzubringen. Nach jeder Klasse wurden die mitgebrachten Zahnbürsten verteilt und manche Klassen sangen sogar ein Lied für uns! Und wieder ein absoluter Gänsehautmoment: Eine der Klassen, die wir uns angeschaut hatten, stürmte vor Dankbarkeit plötzlich auf uns zu und begrub uns in ihren Armen! Irgendeiner von uns schaffte es dann ein Handy zu zücken und diese Momente für die Ewigkeit festzuhalten!
Montags und Dienstags jeweils Nachmittags ging es wieder zurück zur Behandlung in die Clinic. Auch einige der Schulkinder kamen da bereits mit ihren Spateln. Am Dienstag mussten wir am Ende leider einige Patienten abweisen, weil wir die Einheiten sowie die Materialkoffer packen mussten, da wir am Mittwoch und Donnerstag im 50 km entfernten Noordoewer in der dortigen Clinic zur Behandlung eingeplant waren.
Zurück in der Lodge bemerkten wir, dass das Wetter umschlug. Es war extrem windig, der Oranje war nicht wie sonst ein ruhiger Fluss, sondern sehr aufgewühlt und es gab zum ersten Mal richtige Wolken – und zwar dunkle! Man erwartete Regen, was in Aussenkehr zuletzt 2011 der Fall war und damals einen Teil der Hütten stark beschädigt oder gar zerstört hatte. Uns war etwas mulmig zumute, als jede in ihrer Hütte verschwand. Trotzdem schliefen wir alle nach einem langen Arbeitstag erstmal ein. Kurz nach Mitternacht wachte ich dann plötzlich auf von einem Dauertosen, das ich zunächst gar nicht einordnen konnte. War es „nur“ orkanartiger Wind oder gar monsunartiger Regen? Die Tür wackelte in ihrer Verankerung und drohte trotz Verriegelung aufzufliegen. Die Planen, die hier Fenster ersetzen, wurden aufgebläht und durchgerüttelt und ich hoffte nur, sie würden halten… Ich nahm per WhatsApp Kontakt zu den anderen Mädels auf, rauszugehen traute ich mich nicht. Ihnen ging es genauso, das machte es erträglicher. Wir verbarrikadierten unsere Türen mit Sessel und Stuhl und versuchten noch ein bisschen zu schlafen, was uns mehr oder weniger gelang, der Sturm tobte einfach zu laut. Unsere Gedanken waren auch beim Strohhüttendorf in Aussenkehr und wir hofften, dass sich 2011 nicht wiederholen würde und den Menschen dort nichts passiert.
Gegen Morgen ließ der Sturm fast schlagartig nach und wir dösten noch ein bisschen ein. Wir erkundigten uns gleich bei den Mitarbeitern, wie es das Dorf überstanden hat, aber offensichtlich halten die Hütten mehr aus, als wir uns vorstellen konnten.
Nach dem Frühstück fuhren wir die rund 50 km nach Nordoewer, um die letzten beiden Tage in der dortigen Clinic zu arbeiten.
Mittwoch und Donnerstag – Clinic Noordoewer
In Noordoewer erwartete uns ebenfalls schon eine Schlange von Patienten im großen Wartesaal. In dem uns zugewiesenen Raum war bereits wieder alles nahezu perfekt aufgebaut und wir fanden uns nach einer kurzen Neuorientierungsphase schnell wieder zurecht. Auch hier waren wieder Rachel und ihr Intern Jonas mit an Bord, sodass wir an drei Stühlen gleichzeitig behandeln konnten. Allerdings war es dort deutlich ruhiger als in Aussenkehr und in einer kurzen Behandlungspause erzählte uns eine Angestellte etwas über die Klinik sowie die durchgeführten Behandlungen.
Die HIV-Rate beträgt dort erschreckende 80-85%. Das weiß man, weil im Prinzip jeder, der die Klinik besucht oder Neugeborene – die übrigens bereits nach acht Stunden wieder entlassen werden! – dort auf HIV getestet werden. Die Kliniken in Noordoewer und Aussenkehr sind eher zu vergleichen mit einer Arztpraxis ohne Arzt – dieser kommt nur gelegentlich vorbei – und dienen v.a. auch als Apotheke, die einige der wichtigsten Medikamente vorhält und ausgibt, mit dem Unterschied, dass die Klinik in Noordoewer ein richtig gemauertes Gebäude ist, während die Klinik in Aussenkehr nur aus ein paar Containern besteht. Ein Neubau ist dort aber bereits im Gange und soll nach Fertigstellung sogar einen festen Zahnarzt beherbergen.
Am Donnerstagnachmittag mussten wir bereits früh die Behandlungen beenden, weil das Equipment gereinigt, vorbereitet, verpackt und fehlende oder kaputte Instrumente und Geräte für Neuanschaffungen bzw. Ersatzbeschaffung dokumentiert werden mussten für das nächste Einsatzteam. Auch hier gab es dann einige Patienten, die leider nicht mehr zum Zuge kamen und die wir auf das nächste Einsatzteam vertrösten mussten.
Nach getaner Arbeit und einem sehr emotionalen Abschied von unseren treuen Seelen Aletta, Courie, Magdalena, Rachel und Jonas fuhren wir zu unserer Lodge zurück, um selbst zu packen für unsere eigene Weiter- und Rückreise am nächsten Tag.
Ein letzter Abend in der Lodge, ein letzter Sonnenuntergang am Oranje, eine letzte Runde Springbock, zum letzten Mal unsere Highlights des Tages. Alle Drei haben wir einige Tränchen vergossen, aus Dankbarkeit für die tolle Zeit, für die unvergesslichen Erfahrungen und Erlebnisse, aber auch wegen des Abschieds – und dass wir das alleine zu Ende gebracht haben.
Freitag, 28.07.2023
Sehr früh nach dem letzten Sonnenaufgang am Oranje, dem letzten schnellen Frühstück in der uns ans Herz gewachsenen Lodge mit dem wundervollen Team dort, machten wir uns auf große Fahrt in die Lodge in der Kalahari, in der alles begann und in der wir unsere gemeinsame Zeit auch ausklingen lassen wollten. Wir schafften es gerade rechtzeitig zur Sundowner-Tour. Wieder haben wir viele Tiere gesehen und durften ein letztes Mal, zu dritt im roten Sand sitzend, der versinkenden Sonne zuschauen. Ein sehr emotionaler Moment – Abschied von uns als Team, Abschied vom gemeinsam erlebten Namibia.
Samstag, 29.07. und Sonntag, 30.07.2023
Letztes gemeinsames Frühstück mit Anke, dann Weiterfahrt nach Windhoek, wo wir Anke schnell absetzten, bevor es zu emotional werden konnte. Ann Christin und ich fuhren dann weiter nach Sossusvlei, wo wir noch zwei Nächte verbrachten, um zum Abschluss unseres Namibia-Aufenthaltes am nächsten Tag noch einen unvergesslichen Ausflug zu den roten Dünen und in den Sesriem Canyon zu unternehmen (und Anke schon vermissten).
Montag, 31.07.2023
Nach dem Frühstück Rückfahrt nach Windhoek zum Flughafen. Der Rückflug nach Frankfurt war leider sehr holprig und zudem erwartete uns am 1. August kühles und regnerisches „Aprilwetter“! Wir wären am liebsten gleich wieder umgekehrt!
„Dankie en totsiens, Namibia! Wir kommen wieder!“
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