von Anette Kirchner-Schröder (E-Mail: netti065 [at] yahoo.de)

Bericht vom Frühjahrseinsatz in Rumänien, vom 1.4. – 15.4.2017

Anfangs ist da oft der Gedanke: „Nun habe ich schon so viele Busladungen Hilfsgüter nach Luncani transportiert…diesmal bleibt der Bus bestimmt halb leer“. Aber je näher der Abreisetag rückt, desto mehr Kästen und Säcke stapeln sich in meinem Haus. Jedes Mal, garantiert! Es ist wirklich unglaublich, in welchem Überfluss wir hier leben.

Nach stundenlangem Beladen, um auch ja jede Ritze auszunutzen, konnte ich wieder einmal gerade noch durch einen schmalen Spalt die Lichter meiner rückwärtigen Einparkhilfe erkennen.

Bei frühlingshaftem Wetter traten Sandu und ich die Reise nach Luncani an. Wir aßen in Linz bei einem Freund, einem frischgebackenen Vater, zu Mittag. Danach waren es noch vier Stunden Fahrt bis zu unserem vertrauten Hotel in der Nähe von Tatabánya in Ungarn. Am nächsten Tag waren dann nur noch knapp 600 km zu bewältigen. Kaltes Bier und ein gutes Essen mit Knödeln und zartem Fleisch begrüßten uns nebst Gerhard, dem Projektleiter und einigen Jugendlichen der Romasiedlung ICAR. Es war schön, wieder „zu Hause“ zu sein.

Am nächsten Morgen bauten wir routiniert die Praxis auf. Gegen 11.00 Uhr holten wir Dan vom Bahnhof in Câmpia Turzii ab. Dan ist gebürtiger Rumäne, lebte schon lange in Deutschland und wollte uns seine Zweisprachigkeit zur Verfügung stellen sowie selbst Erfahrungen in der Patientenbehandlung sammeln. Mich freut es immer sehr, wenn ich im Rahmen dieser Einsätze neue Menschen kennen lernen darf.

Die Arbeit lief wie gewohnt ungestört und gut organisiert. Innerhalb eines Tages waren alle Bewohner von ICAR kontrolliert, die den Wunsch nach einer Behandlung hatten. Einige Erwachsene kommen jedoch nicht zur Kontrolle, weil ihnen „ja nichts weh tut“. Das Wort „Vorsorge“ hat sich bisher in Rumänien im Allgemeinen wenig in den Köpfen verankert. Die Kinder und Jugendlichen des Projektes braucht man hingegen kaum zu einem Besuch zu animieren. Sie kommen freudig und angstfrei und von der Neugier getrieben, was sie sich nach der Kontrolle wohl an Spielzeug oder Hygieneartikeln aussuchen können.

Eine neue Patientengruppe erschließt sich derzeit durch die Behandlung von armen Bewohnern des Dorfes Luncani. Da waren so einige, die sich das erste Mal auf einen Zahnarztstuhl setzten und ich sah die altbekannten Bilder von Wurzelresten der 6-Jahrmolaren, große Defekte an den Frontzähnen, unvorstellbar viel Zahnstein… also jede Menge Arbeit! Ich versuche, jeden Patienten zu sanieren, auch wenn er dazu täglich in die Praxis kommen muss. Einige haben jedoch so viele „Baustellen“ , dass ich sie schon jetzt für den Herbst eingeladen habe. So behandelten wir in 4 Tagen an die 70 Patienten, mit zahlreichen Füllungen, Zahnsteinentfernungen, einigen Extraktionen und hoffentlich hilfreichen Versieglungen.

Am Freitag brachen wir zum nächsten Behandlungsort auf, in das 180 km nördlich gelegene Bădăcin. In diesem Heim für physisch und psychisch Beeinträchtigte leben ca. 130 Menschen. Wir bezogen unsere Zimmer in einem von der EU geförderten Gebäude, das zur Kirchengemeinde in Șimleu Silvaniei gehört. Danach trafen wir uns mit Peter, dem Gärtner des Heimes, der an diesem Wochenende die Organisation des Patiententransportes von Bădăcin nach Șimleu inne hatte, um die Einzelheiten zu verabreden. An dieser Stelle muss ich allen Beteiligten ein großes Lob aussprechen. Hakte es in der Vergangenheit manchmal an Organisatorischem (Patientenliste, Transport, Verpflegung der Zahnärzte etc.) so war diesmal alles perfekt. Alex und Vlad, rumänische Zahnärzte aus Bistrița, unterstützen die Behandlung wie gewohnt mit viel Engagement und Humor. Ela, die Ehefrau von Alex kümmerte sich rührend um die Patienten und all die Dinge im Hintergrund, wie Reinigung der Instrumente, Sterilisation sowie Auffüllen der Verbrauchsmaterialien. Sandu kam seinem Job als Assistent in gewohnter Gelassenheit und Kompetenz nach. Am Samstag konnten wir 48 Patienten behandeln. Wir legten 21 Füllungen, zogen 18 Zähne oder Wurzelreste, bei 34 Patienten wurde der zum Teil immense Zahnstein entfernt. Danach reisten unsere Freunde nach Hause.

Am Sonntag packten wir das Notwendigste in Kisten und fuhren direkt in das Heim, um auch die Patienten zu sehen, die die Heimleitung für nicht transportabel erachtet hatte. Wir zogen von Haus zu Haus und da schönes Wetter war, kontrollierten wir die Patienten sozusagen Freiluft. Insgesamt behandelten wir 19 Patienten, wobei wir 15 Extraktionen durchführten zum Teil unter abenteuerlichen Umständen. Trotz aller Erfahrung war es für mich hart an der Grenze des Erträglichen, wenn zwei Patienten auf einem Tisch fixiert werden mussten, gehalten von 6-8 Helfern. Als Zahnärztin sage ich mir: „Die Wurzelreste müssen raus. Sie schmerzen oder werden schmerzen“. Als Mensch sage ich mir: „Was für eine Grenzverletzung“. Diese Bilder haben sich nun eingebrannt und es ist schwer, mit ihnen umzugehen.

Am Nachmittag fuhren wir zurück nach Luncani, wo bereits ein Bautrupp aus Österreich zugegen war, der hinter dem Wohnhaus ein großes Materiallager errichten wollte. Untätigkeit macht mich nervös und so vertauschte ich am nächsten Tag den weißen Kittel gegen einen „Blaumann“. Was für ein herrlicher Tag, um im Sonnenschein Bretter zu schneiden und – das erste Mal für mich – diese mit einem Elektrohammer zu fixieren. Am Abend war ich todmüde, aber glücklich.

Am nächsten Tag gab es einige Vorbereitungen zu treffen, denn eine Fahrt in das fast 400 km entfernte Craiova stand auf dem Programm. Dort gibt es ein Erziehungsheim für Minderjährige und junge Erwachsene. Marco ist seit knapp vier Monaten dort eingesperrt, jener Junge, der im letzen Sommer mehr als zwei Wochen bei mir zu Hause verbracht hat, um eine augenärztliche Untersuchung und letztendlich eine Brille zu bekommen. Er hatte in seiner Kindheit einige Diebstähle vollbracht, um seine Familie vor dem Hunger zu bewahren. Trotz aller Wiedergutmachung (Rückzahlung der Schäden) wurde er Ende letzten Jahres zu zwei Jahren und drei Monaten Erziehungsheim verurteilt, was für mich eigentlich „Gefängnis“ heißt. Die Fahrt dorthin dauerte 6,5 Stunde. Sandu und ich übernachteten in einem Hotel und am nächsten Morgen unterzogen wir uns erneut der Prozedur des Besuches.(wie schon im Februar). 1,5 Stunden dauert es, bis man alle Leibesvisitationen hinter sich hat, alle Lebensmittel kontrolliert und zerschnitten sind, bis man endlich Marco in die Arme schließen kann.

Nach einer Stunde ist die Gesprächsmöglichkeit vorbei und es geht nach Hause, wieder mehr als sechs Stunden, die erste Stunde sprachlos, aufgrund der Emotionen, die man fühlt. Es ist wirklich scheußlich dort. Unsere Baupolizei hätte diese Gebäude bereits gesperrt.

Die nächsten zwei Tage verbrachte ich meist auf dem Dach des neuen Materiallagers, die meiste Zeit kniend, um mit selbst schneidenden Schrauben (was für eine schlechte Qualität) die ausgelegten Dachbleche zu fixieren oder um (im Inneren des Lagers) zu betonieren. An den Abenden konnte ich mich kaum noch rühren. Trotz aller Schmerzen war es sehr bereichernd für mich.

Am Ostersamstag fuhr ich in der Morgenfrühe los, Richtung Heimat, im Gepäck, Kuchen, Bohnen, Schnaps, Kirschlikör, einen toten Hahn mit Kopf, selbst gemachten Suppennudeln und jeder Menge Impressionen…

Danke an alle Unterstützer dieser Reise! Mulțumesc frumos!!!