von Dr. Stefan Rohr, München (E-Mail: dr.stefan.rohr [at] t-online.de)
Einsatzbericht: Namibia Süd 24.09.2016 – 08.10.2016
Im September 2015 begleitete erstmals ein Zahntechniker eine DWLF Gruppe nach Namibia. 70 Prothesen stellte Oliver Schulze, unser Zahntechnikermeister aus Berlin, fertig. Damit konnten wir 65 Patienten ein „Smile for Life“ schenken.
Der Einsatzzeitpunkt wurde auf den „National Oral Health Commemoration Day“ abgestimmt. Das Fernsehen berichtete von diesem Einsatz und trug die Nachricht von unserem ersten prothetischen Schritten in alle Provinzen des Landes. Die Resonanz war groß. Anfragen häuften sich im Gesundheitsministerium, ob wir diese Projekt auch in anderen Provinzen anbieten könnten.
In Namibia gibt es vier Zahnstationen, die über ein Zahnlabor verfügen: Keetmanshoop, Windhoek, Otjiwarongo und Oshikati.
Unsere Idee war, einen Workshop zur Herstellung von Prothesen für die fünf staatlichen Zahntechniker Namibias in Keetmanshoop zu veranstalten. Gleichzeitig sollten die Zahnärzte der jeweiligen Zahnstationen zu diesem Workshop mit eingeladen werden.
Vom 24.09.- 30.09.2016 luden das Gesundheitsministerium und DWLF ins Keetmanshoop Hospital zur „International Dental Week“
Im DWLF Team waren:
- Dr. Stefan Rohr,
- Dr. Rainer Rathje,
- Dr.Wasiliki Stamou,
- Anke Kettner,
- Christine Welte,
- Oliver Schulze.
Für die Zeit des Workshops war die Zahnstation in Keetmanshoop für Notfallpatienten nicht zugänglich. Die täglichen Schmerzpatienten wurden in ein kirchliches Zentrum, De Sales Center, umgeleitet und dort von dem DWLF Team Dr. R. Rathje, Dr. W. Stamou und Anke Kettner versorgt. Bis zu 108 Patienten täglich nahmen ihre Hilfe in Anspruch. In der Woche nach dem Workshop reiste dieses Team nach Aussenkehr und behandelte dort die Arbeiter des Weinanbaugebietes. An dem Workshop im Keetmanshoop Hospital nahmen 16 Zahnärzte und Zahntechniker teil.
Die Zielsetzung für den Workshop war zu erfahren
- wie wichtig die Zusammenarbeit von Patient, Zahnarzt und Zahntechniker ist,
- was von zahnärztlicher und zahntechnischer Seite bei der Planung einer Teil- oder Vollprothese zu beachten ist,
- den Workflow für Teil- und Vollprothesen an jeweils einem Patienten zu zeigen und zu erklären,
- jedem Teilnehmer ein Handout mitzugeben, um alle Fakten und Details nachschlagen zu können,
- jedem Zahnarzt und Zahntechniker die Möglichkeit zu geben, Arbeiten an verschiedenen Patienten step by step selbst ausführen zu können,
- jedem Zahnlabor Namibias ein Set an Prothesenzähnen in verschiedenen Zahnfarben, Kaltpolymerisat, Plattenwachs, Isoliermittel, alle notwendigen Instrumenten etc. mitzugeben, um nach dem Workshop beginnen zu können, Prothesen selbst herzustellen,
- ein Mentorship Program ins Leben zu rufen, damit alle Kursteilnehmer die Möglichkeit haben, auch nach dem Kurs Fragen stellen zu können und Patientenfälle mit uns zu diskutieren.
Unser besonderer Dank gilt der Firma IVOCLAR. Ivoclar spendete 1.152 Garnituren Kunststoffzähne, 4 Lab Kit (à 5x500g Pulver mit Flüssigkeit) Kaltpolymerisat, acht Farbringe und acht Arbeitsplatzdosiersysteme. Ohne diese großzügige Spende wäre der Workshop nicht darstellbar gewesen.
Die namibischen Zahnärzte waren zum großen Teil „Junior Dentists“, die in den Jahren 2014 und 2015 in Russland, Indien, Algerien oder Kenia ihr Staatsexamen abgelegt hatten. Nach einem allmorgendlichen Briefing und einer Wiederholung der theoretischen Grundlagen, die den meisten sehr geläufig waren, lag der Schwerpunkt des Workshops auf dem praktischen Teil.
Gemeinsam analysierten wir die individuelle anatomische Situation des jeweiligen Patienten, entwickelten Therapiekonzepte, entschieden, welche Maßnahmen vor der prothetischen Versorgung durchzuführen sind (Füllungen, Zahnreinigung) und wie die endgültige prothetische Versorgung auszusehen sollte.
Patienten mit progener, prognather, offener und tiefer Bisssituation waren zum Workshop einbestellt. Kieferkammatrophien in allen Ausprägungen konnten diagnostiziert und versorgt werden.
Nach Abschluss der vorbereitenden Maßnahmen erfolgten für die Zahnärzte die Arbeitsschritte Abdrucknahme, Modellherstellung, Trimmen der Modelle, Bissregistrate, Wachseinprobe, Eingliedern der fertigen Prothese, und Kontrolluntersuchungen (Beseitigung von Druckstellen, Einstellung der Abzugskraft der Klammern etc.).
Den Zahntechnikern stellten Christine und Oliver verschiedene Klammertypen vor, erklärten das Einartikulieren nach vorgegebenen Bissnahmen. Die Bestimmung des prothetischen und des anatomischen Äquators, das Biegen und korrekte Positionieren der Klammern, Auswahl der Kunststoffzähne, Wachsaufstellung und Fertigstellung waren weiter Themen im Labor.
Das Thema des ersten Tag war gegenseitiges Abdrucknehmen und die Herstellung von Modellen. Die Teilnehmer sollten ein Gefühl zu bekommen für die richtige Konsistenz von Alginat und von Gips, für den Druck bei der Abdrucknahme und ein blasenfreies Ausgießen der Abdrücke. Am Ende des ersten Kurstages stellten wir den Kursteilnehmern den ersten Patienten vor.
Am zweiten Tag ging es um Bissregistrate bei unbezahnten Patienten. Dies erwies sich als besonders schwierig, da diese Patienten teils vor Jahrzehnten ihre Zähne verloren hatten und die Gelenkbahn sich an diese Situation adaptiert hatte. Bis zum Nachmittag des zweiten Tages hatte das Zahntechnikerteam bereits eine Wachsaufstellung zur Einprobe vorbereitet.
Ab Mittwoch bekam jeder teilnehmende Zahnarzt einen Patienten. Nach einer präprothetischen, konservierenden Versorgung und Zahnreinigung erfolgte die Abdrucknahme für die jeweils erforderliche Teil- oder Vollprothese.
Für Donnerstag waren die Bissnahmen und ersten Einproben vorgesehen und bis Freitag, dem letzten Kurstag stellte Oliver, Christine und ihr Technikteam in einer Nachtschicht vier Total- und vier Teilprothesen fertig. An diesem letzten Tag sollten die Zahnärzte erfahren, wie die Okklusion, die Länge der Prothesenränder und Klammern adjustiert werden müssen.
Die namibischen Zahnärzte arbeiteten in Dreier- oder Viererteams an drei Behandlungsstühlen. Hoch motiviert und voll Energie setzten sie das gezeigte am Patienten um. Sie fragten nach, wenn etwas unklar war, diskutierten im Team, lachten viel, kamen zu uns mit Sätzen wie, „can you show us again?“, „we need a litte miracle“.
Täglich um 17 Uhr war der Kurs zu Ende. Jetzt begann die Zeit für unser zweites Projekt. Wir wollten neben dem Workshop noch möglichst viele Patienten mit Prothesen versorgen. Bis 19:30 Uhr behandelten wir diese Patienten. Ab dem zweiten Tag blieben die namibischen Zahnärzte nach Ende des Workshop bei uns, um auch diese Fälle zu sehen und erklärt zu bekommen. Es war eine Freude, mit diesen begeisterten und interessierten jungen Menschen zu arbeiten, Ihre Fragen zu beantworten.
Die große Herausforderung für das DWLF Team bestand darin, dass der Kurs als Workshop für Zahntechniker und jeweils einem Zahnarzt derselben Zahnstation ausgeschrieben war. Erschienen sind vier Zahntechniker und zwölf Zahnärzte. Wir brauchten spontan viel mehr Patienten als vorgesehen und das Technikerteam wurden von einer Lawine an Prothesenarbeiten überrollt.
Ein besonderer Dank gilt Dr. Chigova, der ein unerschöpfliches, auf Listen gesammeltes Reservoir an Prothesenpatienten zusammengestellt hatte, das kurzfristig abrufbar war.
Und ein besonderer Dank auch an Oliver und Christine, die 2 Wochen ohne Mittagspause, dafür bis an das Ende ihrer Kräfte, gearbeitet haben, um die Arbeiten für den nächsten Tag parat zu haben.
Der Freitag kam, jeder Teilnehmer hatte seine Checkliste im Kopf, auf was er beim Einsetzen seiner ersten Prothese zu achten hatte. Sie passten die Prothesen ein und gaben den Patienten einen Spiegel.
Die Reaktion ihrer Patienten traf die jungen Zahnärzte völlig unerwartet. Antonio, ein namibischer Rentner mit portugiesischen Wurzeln, blickte in den Spiegel und konnte nicht glauben, was er sah. Kein Wort kam mehr über seine Lippen, Tränen rollten seine Wangen herab. Er stand auf und nahm seinen Zahnarzt in den Arm. Es ist ein emotionale Moment, wenn ein Patient das erste Mal sein neues Lachen im Spiegel sieht, nicht glauben kann, was er sieht, die Augen zu leuchten beginnen und man spürt, es ist ein Augenblick für den es keine Worte gibt. Ein Augenblick, der das Leben der Menschen verändert, nicht nur das der Patienten, auch das der jungen namibischen Zahnärzte, die nicht fassen konnten, was ihnen und den Zahntechnikern nach dieser Woche geglückt ist.
„Giving the Gift of Happiness“ war das Thema des Workshops. Die Worte bekamen in dieser Woche Bedeutung, wurden mit Leben und Freude ausgefüllt.
Dr. Ruta, der Chief Dentist Namibias war für vier Tage aus Windhoek angereist, um seine Schützlinge beim Workshop zu begleiten. Auch seine professionelle Zurückhaltung konnte der Freude über das, was er in diesen Tagen gesehen hatte, nicht widerstehen.
Am Ende des Workshops hielt jeder Teilnehmer ein Zertifikat und ein Handout in Händen, ein DWLF Shirt am Körper (auch Dr. Ruta und Dr. Ndile, Director of Karas Region) und Freude und Dankbarkeit im Herzen. Freude und Dankbarkeit Teil eines Teams gewesen zu sein, nicht nur Kollegen, sondern Freunden begegnet zu sein.
In unserer zweiten Arbeitswoche versuchten wir noch möglichst viele Patienten von Dr. Chigovas Liste mit Prothesen zu versorgen. Am Ende des Einsatzes hatten wir 56 Prothesen, davon 32 Totalprothesen fertiggestellt.
Im Keetmanshoop Hospital arbeiten zwei Zahntechnikerinnen. Rachel, die sehr talentiert ist und Maria, die als hoffnungsloser Fall abgestempelt wurde. Mit Engelsgeduld fand Christine einen Zugang zu Maria, zeigte ihr, wie man Klammern biegt („shu shu shu this clasp is stressing me…“) und stärkte ihr Selbstvertrauen. Maria legte sich mächtig ins Zeug, stellte mit Christine viele Teilprothesen her und fand erstmals Anerkennung als Zahntechnikerin.
Oliver saß zwischen Artikulatoren und Zahngarnituren in einem separaten Raum – seiner „Honeymoon Suite“ – und stellte auf und fertig gemäß seinem Motto: „Tue dort, wo Du bist, mit dem, was Du hast, das, was Du kannst.“
Mein besonderer Dank gilt
- meinem grandiosen Team
den Firmen und Institutionen
- Ivocar
- Kanidenta
- Henry Schein
- M+W Dental
- Schalke und Mayr
- Septodont
- Colgate
- Sensodyne
- Komet
- Peppler
- der Meisterschule für Zahntechnik Berlin/Brandenburg
sowie
- Herrn Andreas Nießing
- Frau Spiegel
- Frau Hank
- Herrn und Frau Dr. Manfred und Elisabeth Rohr