von Dr. Wolf-Ulrich Müller (E-Mail: wolf-ulrich.mueller [at] web.de)
Hilfseinsatz in Siavonga (Sambia), Juni 2016
Unser erster Einsatz im Geiste der „Stiftung Zahnärzte ohne Grenzen“ führte meine Frau und mich dieses Jahr nach Sambia, eines der ärmsten, aber auch der friedlichsten Länder im südlichen Afrika. Seit 1964, dem Jahr der Unabhängigkeit, leben dort 72 Volksgruppen verschiedenster Religionszugehörigkeit – im Gegensatz zu den Nachbarstaaten – weitgehend konfliktfrei und, wie es uns scheint, zufrieden und selbstbewusst miteinander.
Der größte Teil Sambias liegt auf einer flachen Hochebene. Zum Sambesi, dessen Namen es trägt, fällt die Landschaft an der Südgrenze steil ab. In dieser wunderschönen Südprovinz, die an den Karibasee, einen der weltgrößten Stauseen, grenzt, hat der gebürtige Münchner Herman Striedl in den letzten Jahren mit großem Engagement und mit Hilfe vieler deutscher Kollegen ein Netz von einfachen funktionierenden Dental Clinics aufgebaut. Dutzende von Kilometern auseinander liegende Dörfer der hier lebenden Tonga werden zahnärztlich versorgt.
Während unseres Einsatzes vom 30. Mai bis zum 10. Juni wohnten wir in der von Herman geführten Lodge und genossen den südafrikanischen Spätherbst: tagsüber den wolkenlosen Himmel bei etwa 24 Grad, und die langen Nächte bei recht frischen Temperaturen. Das Abendessen gab es auf der Seeterrasse unter dem Kreuz des Südens.
Den ersten Einsatztag verbrachten wir im Dental Department des Hospitals von Siavonga. Mr. Jonathan praktiziert dort als Dental Therapist. Nach einer dreijährigen Ausbildung ist er befähigt, in Aufklärung, Prophylaxe, Zahnreinigung und konservierend tätig zu sein. Auch Extraktionen unter Anästhesie gehören zu seinem Behandlungsspektrum. Da in ganz Sambia geschätzte 50 Zahnärzte tätig sind, tragen die Dental Therapists den Großteil der zahnmedizinischen Versorgung.
Die Begegnung mit Mr. Jonathan war sehr wertvoll, um uns gewissermaßen „zu erden“ und an die Herausforderungen zahnärztlichen Handels, unter den schwierigen Bedingungen eines sehr einfachen Gesundheitswesens, heranzuführen. Da selten Recalls und Folgetermine für Füllungen oder gar Endodontie möglich sind, muss oft pragmatisch gehandelt werden, meist bedeutet dies die Entscheidung zur Extraktion von pulpitischen oder avitalen Zähnen.
Die nächsten Tage fuhren wir mit Herman und seinem Begleiter, Mr. Piri ins Outreach. Dort erwarteten uns in einfachsten Behandlungsräumen der dörflichen Medical Centers bereits die vorab informierten Patienten. Typischerweise kamen zuerst und mutig die Frauen, später im Laufe des Tages erschienen die männlichen Dorfbewohner und Kinder.
Deutlich waren die Erfolge von Herman Striedl und DWLF zu erkennen: die Stationen in den Medical Centers sind einfach, aber ausreichend ausgestattet, zusätzliche Instrumente werden in einem großzügig bestückten Fahrzeugtransportschrank mitgeführt. Vor allem aber waren die Patienten nach der jahrelangen Aufbauarbeit offen und interessiert an unserem Angebot der Schmerzbehandlung.
Diese erfolgte typischerweise so, dass nach dem Sortieren der Instrumente, dem Bereitstellen von Wasser, Desinfektionsbad, Handschuhen und Abfallbehälter die Patienten von Herman hereingeführt wurden. Mr. Piri übernahm neben der Technik die Übersetzung vom Englischen in die Bantusprache der Tonga. Martina als gelernte Kindergärtnerin gab für die ohnehin tapferen Patienten mitfühlenden Beistand, vor allem aber besorgte sie souverän das rasche Instrumentenmanagement. Meine Aufgabe war es, die zu behandelnden Zähne zu identifizieren und zu 99 Prozent nach Anästhesie und Wartezeit zu extrahieren, meist mehr als nur einen Zahn oder Wurzelrest. Ganz selten bestand die zeitliche und medizinische Möglichkeit, Compositefüllungen zu legen.
Waren Schulen im Ort, konnten wir Reihenuntersuchungen und Gruppenprophylaxe durchführen, auch hier wurden kurzentschlossen „Durchbruchshindernisse“ extrahiert und Konkremente entfernt.
Die Ausstattung der Stationen ist sehr unterschiedlich und reicht von elektrifizierten Räumen mit einem funktionierenden Behandlungsstuhl bis zu staubigen Nebenräumen mit federndem Plastikstuhl. Hier musste mit Stirnlampe und transportablem Chirurgiemotor gearbeitet werden. Dieser kann an die Autobatterie an geklemmt werden, als Kühlung wird Mineralwasser verwendet.
Mundspiegel, Sonde, Tupfer, Anästhetika, Hebel und Zangen waren stets vorhanden. Die Instrumente werden nach dem Desinfektionsbad vor Ort von dem eingewiesenen Personal der Medical Center sterilisiert. Dazu reicht ein Wasser gefüllter Drucktopf, der meist mit Holzkohle ausreichend lange und heiß temperiert werden kann.
Bei unserem weiteren Aufenthalt verbrachten wir zwei Tage im Mtendere Mission Hospital von Chirundu, das von der Diözese Mailand auf hohem Niveau betrieben wird. Das Dental Department wird von Mrs. Angela geführt, die – gerade von ihrem zweiten Kind entbunden – charmant und engagiert die Patienten betreut und behandelt. Während wir dort aufgrund der guten Ausstattung sogar Endodontie betreiben konnten, stellte Angela ihre wirklich bewundernswerten Extraktionskünste, aber auch die kompetente und verständliche zahnmedizinische Aufklärung der Patienten unter Beweis. Die Nacht verbrachten wir im romantisch am Sambesi liegenden Gästehaus einschließlich italienischer Küche.
Der kollegiale Austausch mit den beiden Dental Therapists, die wir kennenlernen durften, war sicher für beide Seiten fruchtbar: wir brachten das im deutschen Sprachraum verwendete Articain mit, das eine deutlich größere Anästhesietiefe als das im Commonwealth verbreitete Lidocain erreicht, und ich lernte begeistert die Extraktionszange nach englischem Muster, auch „Cowhorn-Zange“ genannt, kennen. Mit deren Hilfe können verblüffend einfach auch tief zerstörte untere Molaren entfernt oder bei Bedarf an der Furkation geteilt werden.
Während bei den Patienten Gingivitiden selten zu beobachten waren, sind Zahnstein und Konkremente weit verbreitet. Im Gegensatz zu uns Eurasiern gibt es bei der afrikanischen Bevölkerung nach meiner Beobachtung aufgrund der größeren Kieferanatomie wenig retinierte (wenn auch oft tief zerstörte) Weisheitszähne. Die Zahnfarbe bewegt sich im typischerweise im Bereich A1/A2.
Bestätigen können wir, dass als Material neben dem dringend benötigten Articain ständig Kanülen, Tupfer und Handschuhe benötigt werden. Auch der oft erwähnte „Lieblingshebel“ kam immer wieder zum Einsatz. Ein großes Problem ist die Instandhaltung der schon vorhandenen Geräte. Eine defekte Absaugung nahmen wir deshalb im Fluggepäck nach Deutschland, sie ist nach der Reparatur durch unseren Gerätetechniker wieder unterwegs mit dem nächsten Kollegen nach Sambia.
Das Wochenende verbrachten wir zeltend unter Flusspferdrufen am Sambesiufer mit Affen und Elefanten auf dem Gelände, eine eindrucksvolle Tour durch den Lower Sambesi National Park war Höhepunkt. Auch unter der Woche bot nach den Einsätzen und der manchmal recht herausfordernden Autofahrt über bucklige Sandpisten und trockene Flussfurten jeder stille und frische Abend tiefe Entspannung, sicher auch durch die Abwesenheit all der Aufgaben und Angebote, derer man sich daheim nicht immer erwehren kann.
Der Zufall ergab, dass das letzte sandige Stück Autofahrt mit 13 km Länge genau meiner heimatlichen Lieblingslaufdistanz entsprach. Während das Team einschließlich der Instrumentenschränke kräftig durchgeschüttelt wurde, konnte ich wie gewohnt zweimal wöchentlich laufen, hier durch hügelige Savanne zur Lodge am Karibasee. In der tiefen Vorabendsonne wurde ich begleitet von den verständnislosen Blicken der männlichen Tonga, aber auch mehrere Kilometer von begeistert (und sogar Rad schlagend) mitlaufenden Jungen und sich herausfordernd in den Weg stellenden lachenden jungen Frauen.
Auch wenn wir in den zwei Wochen ein gefühltes Zweijahrespensum an Extraktionen vollbrachten, kamen wir glücklich erholt und entspannt zurück nach Dresden. Dazu trug nicht nur die wunderschöne afrikanische Natur bei, die wir immer wieder genießen, sondern vor allem die sambische Gastfreundschaft und Fröhlichkeit der Menschen.