von den Dres. Wolfgang und Ute Kehl
Eigentlich, so dachten wir, haben wir nach mittlerweile 14 Einsätzen seit Januar 2016 nichts Neues von unseren Aufenthalten auf den Kapverden zu berichten. Und stetig nur zu erwähnen, dass immer noch bei so vielen Erwachsenen sehr viele Zähne durch Karies zerstört sind und viele davon extrahiert werden müssen, obwohl sich die Situation im Vergleich der letzten Jahre in der Hauptstadt Praia verbessert hat, ist langweilig. Aus diesem Grund wollten wir keinen Bericht mehr geschrieben, sondern dies den „Neulingen“ überlassen haben. Jedoch haben wir uns getäuscht und hatten in diesem Einsatz neue positive Erfahrungen, Informationen und Highlights.
So konnten wir diesmal zum zweiten Mal nach dem Einsatz im November 2022 mit zwei ZMF, Sarah-Jane Nischik und Leyla Atak, erleben, wie „Neulinge“ im humanitären Auslandseinsatz diesen empfinden, wobei sich die eine oder andere vorher schon Gedanken darüber gemacht hat, was zu erwarten ist. Teilweise wollten sie den Einsatz ohne vorherige Überlegungen „auf sich zukommen lassen“. Aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen und Eindrücke konnten wir allen einen sehr viel tieferen Einblick in das Land, die Arbeit und die Sozialstrukturen geben als es sonst für sie allein möglich gewesen wäre. Übereinstimmend stellten alle fest, dass sie dies in dem Umfang nicht erwartet hatten. Neben den negativen Eindrücken über die Zahnbefunde prägte sich bei allen ein, dass die Bevölkerung – trotz der relativen Armut – immer glücklich, zufrieden und fröhlich ist, „eine völlig andere Welt gegenüber Deutschland“, wie es hieß.
Aufgrund besserer Flugverbindung waren wir schon am Donnerstag, dem 12.01.2023 – nun zum vierten Mal – in unserer Unterkunft bei Jean-Charles in Praia, wo wir inzwischen schon „zur Familie“ gehören. Samstagnacht kamen dann unsere beiden Mitstreiterinnen, Dr. Alina Günther und Dr. Lena Reichert dort an. Wir lernten uns dann beim Frühstück kennen und hatten sofort einen sehr persönlichen Kontakt, der den gesamten Einsatz überaus angenehm machte. Schon um 10 Uhr wurden wir vom Fahrer des Gesundheitsministeriums abgeholt, um im Zentrum PMI Fazenda unsere Behandlungsplätze aufzubauen, was aufgrund unserer Routine verhältnismäßig schnell, auch mithilfe von Elisabeth, unserer kapverdischen Kollegin, die die beiden dabei kennenlernten, geschafft war. Anschließend, wie auch am Sonntag, betätigten wir uns als Stadtführer, wovon die beiden natürlich profitierten.
Am Montag, nach dem Frühstück, an dem auch die anderen Hausgäste aus verschiedenen Ländern teilnahmen und es täglich interessante Kontakte und Gespräche gab, ging es per Fahrer zum Zentrum. Sehr schnell stellten die beiden fest, dass man bei der Behandlung keinerlei europäische oder deutsche Maßstäbe anlegen kann. Wie auch schon bei der DWLF, unter „Hinweise für Einsatzteilnehmer“, Seite 1 festgelegt, beschränkt sich die Behandlung auf eine Grundversorgung. Neben der Versorgung bei niedergelassenen Kollegen, die sich nur Gutverdiener leisten können, werden in den Sozialen Behandlungszentren für Zahnextraktionen 6,00 € pro Zahn, für Füllungen 20,00 € pro Zahn und für eine Zahnreinigung ebenfalls 20,00 € berechnet. Selbst diese Preise sind für viele Patienten nicht bezahlbar.
Obwohl wir schon immer alle Patienten in Zahnpflege unterrichten und jeder eine Zahnbürste, die uns dankenswerterweise von der Fa. TePe D-A-CH GmbH, Hamburg kostenlos zur Verfügung gestellt werden, mitbekommt, sind wir in Übereinstimmung mit Elisabeth sicher, dass nur die Wenigsten sich später eine neue für 3,00 € kaufen können, weil das Geld für Lebensmittel wichtiger ist. Insofern sehen wir unsere Aufgabe zusätzlich darin, möglichst vielen Patienten eine umfangreiche Gesamtsanierung zukommen zu lassen, weil nur unsere Behandlung für sie kostenlos ist. Durch unseren eigenen Einsatz von vier Wochen haben wir natürlich eher die Möglichkeit, Patienten nochmals einzubestellen und diese Maxime auch umzusetzen. In diesem Sinne zog das gesamte Team an einem Strang. Alina und Lena waren schockiert von dem allgemein schlechten Zahnzustand der Patienten und dass auch bei Kindern schon so viele durch Karies zerstörte bleibende Zähne entfernt werden mussten.
Dabei gab es neben Geschrei aber auch sehr bewegende Momente und Dankbarkeitsbekundungen (Umarmungen), trotz dieser Behandlung. Wer von uns Behandlern hat es schon einmal erlebt, dass ein 7-jähriges Mädchen, bei dem ein Molar entfernt werden musste, sich erst im 3. Anlauf behandeln ließ, mir nach der Injektion aber spontan um den Hals fiel, ebenso nach der von ihr kompromisslos tolerierten Extraktion. Selbst das anschließende Foto zeigt die Dankbarkeit und Emotionen der Kleinen.
Ebenso hatten alle, Patienten wie Behandler, Erfolgserlebnisse nach Sanierung von umfangreicher Frontzahnkaries. Sehr harmonisch und effektiv waren danach auch die letzten zwei Wochen. Trotz des Problems, dass eine Kollegin, die wir von einem früheren Einsatz kannten, aus persönlichen Gründen ganz kurzfristig absagen musste, konnten wir zusammen mit Dr. Uta Voigt, Oralchirurgin – die wir auch bereits kannten und welcher Elisabeth bei der Behandlung assistierte – alle bestellten Patienten behandeln, einschließlich eines Jungen mit ansonsten kariesfreien Zähnen, aber mit einer schon länger bestehenden Fraktur an einem mittleren Schneidezahn, mit Eröffnung der Pulpa. Nach Wurzelkanalbehandlung und Wurzelspitzenresektion und zwei Tage später mit Füllungsaufbau wurden wir mit übermächtigem Dank überschüttet, denn die Familie hätte nicht das Geld gehabt, sich bei niedergelassenen Kollegen eine Wurzelkanalbehandlung, Operation plus Füllungen zu leisten. Oder eine Amerikanerin, die sich hilfesuchend an uns wendete, weil sie sich bei einer Kinderbetreuung eine Frontzahnfraktur mit Lippenverletzungen zugezogen hatte. Überglücklich bedankte sie sich mit einem Präsent, dass sie, nachdem wir den Zahn aufgebaut hatten, mit einem „gesunden“ Zahn die Heimreise antreten konnte.
Wie bereits bei unserem ersten Einsatz 2016 hatten wir auch dieses Mal mehrfach je drei Strafgefangene, die von mehreren Polizisten in „voller Montur“ begleitet und auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt waren, als Patienten. Ein Bewacher war immer am Zimmereingang, wo dem jeweiligen Patienten die Handschellen abgenommen und nach der Behandlung wieder angelegt wurden. Alle hatten Schmerzen durch mehr oder minder stark zerstörte Zähne, die extrahiert werden mussten, waren sehr kooperativ und drückten uns nach der Behandlung durch den kapverdischen Gruß (rechte Hand zur Faust geschlossen und die Faust des Gegenüber sanft berühren und anschließend zum Herzen führen) ihre Dankbarkeit aus. Wir sind eben für alle kapverdischen Patienten da, ohne Ansehen der Person. Einer der Bewacher war selbst als Patient bei uns mit anschließendem „Familienfoto“.
Für den Schulbesuch mit Aufklärungsinformationen über richtige Ernährung und Zähneputzen durch Elisabeth hatte ich mir die Schule in Alto Gouveia von ihr erbeten. Da Alina und Lena bereits zwei Wochen Eindrücke in der Hauptstadt Praia gesammelt, zusätzlich an ihrem ersten Wochenende zwar eine Tagestour mit Guide über die Insel gemacht hatten, wollte ich beiden noch den Eindruck vom Leben in einem recht armen Dorf vermitteln. Außerdem wollten wir, meine Frau und ich, die dortige Schule noch einmal besuchen. Erstens überreichte meine Frau der Direktorin einen 100,00 Euroschein aus einer Spende als Zuschuss zur Verbesserung des Essens, das die Kinder zur Mittagszeit von einer Köchin, in der schuleigenen Küche hergestellt, auf Staatskosten bekommen.
Die Direktorin nahm den Geldschein mit Tränen der Rührung in den Augen entgegen und erklärte den anwesenden Eltern und Kindern die Spende. Andererseits wollten wir beide uns noch einmal in Ruhe den Klassenraum anschauen. Dieser wurde im vergangenen November u.a. als unser sechstes soziales Projekt mit Geldern des „Europäisch-Kapverdischen Freundeskreis“, bei dem wir auch Mitglieder sind und dies initiiert hatten, renoviert. Neben neuer Elektrik, Ventilatoren, Dachausbesserungen und neuen Fenstern bekam der Raum einen neuen Fliesenboden. Aufgrund des Engagements auch anderer Organisationen wurde aus der schmutzigsten die sauberste Schule in dieser armen Gegend. Bei der offiziellen Wiedereröffnung waren alle öffentlichen Persönlichkeiten des Bildungswesens bis zum Bildungsminister der Kapverden anwesend.
In einer Feierstunde im Rahmen eines Dorffestes hatte ich die Ehre, mit dem Bildungsminister die Dankestafel zu enthüllen und durch gemeinsames Durchtrennen eines blauen Bandes den Klassenraum zur Nutzung freizugeben. In seiner Rede hob der Minister hervor, wie wichtig eine gute Schulbildung für die Entwicklung eines Landes ist und dass in einem so schönen Klassenraum das Lernen auch sehr viel mehr Spaß bringt. Dem konnten wir nur zustimmen und das beflügelt uns zur Investition in weitere Projekte.
Sehr schön und in bleibender Erinnerung werden allen Einsatzteilnehmern auch die besonderen Abende bei unserem Gastgeber Jean-Charles sein. Von Zeit zu Zeit bewirtet er Reisegruppen und serviert als Vorspeise Thunfisch-Carpaccio, als Hauptgang mit Garnelen gefüllten Tintenfisch mit Nudeln und als Dessert Kamokacreme. Dazu singen und spielen befreundete Einheimische mit Gitarren und Trommel kapverdische Lieder und es herrscht immer eine großartige Stimmung. Einmal waren auch wir als Gruppe eingeladen, ein anderes Mal schauten wir dem Treiben vom Balkon aus zu. Insofern sind wir auf den Kapverden „zu Hause und unter Freunden“.
Als Besonderheit und auch Würdigung unserer Arbeit empfanden wir das Aufnahmeteam des „Radio-Television Portugal“, das unsere Arbeit filmte. Am 31.01. wurden wir danach in einem ca. 5-minütigen Beitrag, im Rahmen eines Berichts über das Gesundheitswesen auf den Kapverden, vorgestellt.
Eine besondere Ehre wurde meiner Frau und mir zuteil, am vorletzten Tag unseres Einsatzes von der First Lady der Kapverden, Dr. Débora Katisa Carvalho, in den Präsidentenpalast eingeladen zu werden.
In einem sehr freundschaftlichen, 45-minütigen Gespräch sprachen wir über unsere Arbeit und unser soziales Engagement für die kapverdische Bevölkerung. Ihrerseits zeigte sie uns Probleme bei der Behandlung behinderter Kinder auf und bat um Hilfe. In einer Mail nach diesem Zusammensein zeigte „sie sich tief bewegt von der brillanten Arbeit, die wir für ihr Land tun“ und grüßt uns nochmals mit „the warmest wishes of our highest friendship and affection.“ Bei dem von ihr gewünschten „Familienfoto“ umfasste sie uns spontan, was wir ebenso erwiderten. Eine sehr freundschaftliche Geste. Den Dialog mit uns möchte sie unbedingt im kommenden November, wenn wir zum nächsten Einsatz dort sind, fortsetzen.
Unser ausdrücklicher Dank gilt wieder einmal unserer Kollegin Elisabeth mit ihrem Team, die uns vorbildlich, sowohl mit Übersetzung aber auch durch ihre Anwesenheit bis zum z.T. späten Behandlungsschluss, unterstützt hat.
Das sind nur einige Beispiele für die überragende Dankbarkeit, die uns von vielen Seiten entgegengebracht wird. Das weckt Emotionen, die sich tief und unauslöschlich in unserem Gedächtnis einprägen, wie uns auch die Neulinge bei diesen Einsätzen bestätigten. Das ist der „Lohn“ für uns und unsere Mitstreiter, die wie wir weniger private und Freizeitinteressen verfolgen, sondern den humanitären Einsatz als Herzensangelegenheit betrachten und dafür Freizeit oder Urlaub opfern und z.T. auch finanzielle Einbußen hinnehmen.
Allen Teams dafür allerherzlichsten Dank.
Dr. Wolfgang Kehl
Projekt-Manager Kapverden
Zur Beantwortung von Anfragen stehen wir gern zur Verfügung. Kontaktaufnahme über DWLF-Geschäftsstelle oder direkt:
E-Mail: dr.wolfgang.kehl [at] t-online.de
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