Beitrag von Ellen Guretzki

Dass die Kapverden das größte Abenteuer meines bisherigen Lebens werden würden, war mir bereits klar, als meine gute Freundin und Team-Kollegin Lola mich eines Tages fragte, ob ich mir vorstellen könnte, mit ihr und Zahnärzte ohne Grenzen auf die Kapverden zu fliegen. Wenig überraschend – denn schließlich existiert dieser Artikel – sagte ich ja.

Im Verlauf der folgenden Wochen und Monate wurden vom sicheren zu Hause aus Flüge und Hotels gebucht, WhatsApp-Anrufe zum Kennenlernen der beiden anderen Zahnärztinnen Jutta und Leonide durchgeführt, wobei man sich auf Anhieb sympathisch war, – und schließlich die Koffer gepackt. Mit einem Haufen Zahnbürsten und – leider nicht ganz auslaufgeschützten – Desinfektionstüchern im Gepäck ging es dann am 28.09.2024 in die Lüfte Richtung Praia.

Unser Team:

  • Dr. Jutta Beck (AD+GL)
  • Dr. Dr. Leonide Staatsberger (AD)
  • Lola Hofweber (als ADH)
  • Ellen Guretzki (als ADH)

Nach unserer ersten Nacht im – mitten in der immer wachen Stadt gelegenen – Hotel Cesaria und dem dazu gehörenden ersten Kontakt mit der einheimischen Esskultur, alias Frühstück, machten wir uns auf, um zunächst ein wenig die nähere Umgebung zu erkunden. Und was soll ich sagen? Praia ist wirklich keine schöne Stadt. Dies erklärt vielleicht auch, wieso das sehr nette Personal unseres Hotels ziemlich ungläubig reagierte, als es erfuhr, dass wir ganze zwei Wochen dort verbringen würden.

Im Anschluss an den noch geschlossenen Markt in Praia besuchten wir Cidade Velha, die ehemalige Hauptstadt der Kapverden. Auf einer Anhöhe, direkt neben der Festung Forte Real São Filipe, konnten wir unseren Blick über das Grün der Insel und die Weite des Meeres schweifen lassen und den eigentlichen Charme der Insel spüren. Nach einem typischen Mittagessen – gerillter Hähnchenschenkel mit Pommes beziehungsweise Fisch mit Reis, gedämpftem Gemüse sowie einer typischen Soße bestehend aus Öl und Kräutern – ging es dann mit dem Collectivo (oder Aluguer = Sammeltaxi) zurück nach Praia.

Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass ich nicht sonderlich gerne im Flieger sitze, aber bei dieser rasanten Autofahrt, ohne Anschnallmöglichkeiten und Kopfstützen, habe ich mich wahrlich mit der Sinnhaftigkeit dieser Angst auseinandergesetzt. Aber wir sind gut angekommen, wenn vielleicht auch durch den Fahrtwind ein wenig zerzaust. Nach diesem ersten, erlebnisreichen Tag beschlossen wir, in unserem Hotel zu essen und früh das Bett aufzusuchen, um viel Kraft für den ersten Behandlungstag zu haben.

Ich darf mich, wie auch meine bereits oben erwähnte Freundin Lola, erst seit recht kurzer Zeit Zahnärztin nennen und ich möchte diesen Bericht dafür nutzen, andere junge Zahnärztinnen und Zahnärzte zu ermutigen, sich ebenfalls in ein vergleichbares Abenteuer zu stürzen, allerdings nicht ohne sich auch der Risiken bewusst zu sein. In diesem Zusammenhang sollte die Nadelstichverletzung, die ich mir am ersten Tag zugezogen habe, nicht unerwähnt bleiben. Leider kann so etwas immer passieren, aber die Ärztinnen vor Ort haben sofort reagiert, die entsprechende Patientin wieder einbestellt und zur Sicherheit einen HIV-Test bei ihr durchgeführt, der zum Glück negativ war. Ich möchte aber auch betonen, dass wenn er positiv gewesen wäre, sofort eine Postexpositionsprophylaxe zur Verfügung gestanden hätte.

Nachdem der Schock überstanden war, haben Lola und ich in den nächsten zwei Wochen viel sehen und lernen dürfen, nicht zuletzt, weil Jutta und Leonide uns alle Aufgaben, die wir uns selbst zutrauten und gerne durchführen wollten, mit einem wachsamen Auge und hilfreichen Tipps haben machen lassen und dafür sind wir den beiden wirklich sehr dankbar!

Schnell fanden wir als Team unseren Rhythmus, arrangierten uns mit den vorherrschenden, hygienischen Bedingungen, lernten die wichtigsten Vokabeln, perfektionierten den Umgang mit den durchaus etwas widerspenstigen und ständig überhitzenden Einheiten und konnten als Team an unseren neun Arbeitstagen 143 Patienten behandeln, bei denen wir 102 Zähne extrahierten und 217 Füllungen legten. Ich finde, das kann sich sehen lassen!

Am fünften Arbeitstag durften wir mit Ágatha, einer Zahnärztin vor Ort, die uns vormittags zur Seite stand und mit ihren Übersetzungsfähigkeiten sehr geholfen hat, eine Schule in der Umgebung besuchen und einen Teil der mitgebrachten Zahnbürsten verschenken, nachdem Ágatha den Kinder demonstriert hatte, wie sie richtig einzusetzen sind.

Der Besuch der Schule fand am Ende unserer ersten Arbeitswoche statt und wir beschlossen, Praia, dem derzeitig absoluten Hotspot für Denguefieber, zu entfliehen, indem wir Geovanne, ein sympathischer, junger Taxifahrer, den wir durch die Rückfahrten vom Café Sophia kennengelernt hatten, baten, uns ans andere Ende der Insel Santiago, nach Tarrafal, zu fahren. Wir hielten auf halber Strecke, um den Markt in Assomada zu besuchen und nach dem einen oder anderen Präsent für die Liebsten daheim zu stöbern.

Leider hatte ich an besagtem Wochenende das erste Mal mit meinem Magen-Darm-Trakt zu kämpfen und für mich begann die Zeit, in der ich die kapverdische Küche nicht mehr sonderlich gut riechen, geschweige denn essen konnte und anfing, mich um Fleisch und die einheimische Küche zu drücken.

Aber zurück zu unserer Fahrt: Das nächste Abenteuer wartete nämlich schon um die nächste Kurve auf uns; Es gab ein merkwürdiges Geräusch, dann wurde das Auto langsamer und die Blickdiagnose verriet: platter Reifen. Zum Glück war Geovanne mit einem Ersatzreifen und genügend handwerklichem Geschick ausgestattet und konnte sich den fehlenden Wagenheber bei einem sehr netten, vorbeifahrenden Einheimischen borgen.

In Tarrafal angekommen genossen wir unsere freie Zeit am Strand und in den Wellen, mit Spaghetti in Tomatensoße am Mittag und Pizza im sehr empfehlenswerten Restaurant Alto Mira am Abend, mit frisch geöffneten Kokosnüssen und einem schönen Spaziergang am Meer entlang und durch die aufgeräumte Innenstadt Tarrafals.

Erholt und gestärkt ging es am Sonntagmittag durch viele Serpentinen über die außergewöhnlich grüne Landschaft der Insel zurück in Richtung Praia der zweiten Arbeitswoche entgegen, bei der ich das Ende vorwegnehmen möchte: Brechdurchfall! Es war nicht schön, aber auch hier waren vor allem Ágatha und Geruza, eine Mitarbeiterin der medizinischen Einrichtung, sehr um unser Wohl bemüht und statteten uns mit weiterem Immodium, Vomex und Elektrolyten aus. Neben diesem äußerst unangenehmen Ende, sind aber auch einige schöne Erinnerungen in der zweiten Woche entstanden.

Eines der Highlights war der Besuch des Prainha Beach mit Geruza, bei dem uns das Meerwasser nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag angenehm abkühlte und ich zum ersten Mal Spaghetti Carbonara mit Pilzen serviert bekommen habe. Ich denke, jeder Italiener wird mir zustimmen, wenn ich sage, dass die da beim besten Willen nichts verloren haben. Aber die Soße war lecker.

Kurzer Einschub zu jenem Arbeitstag: wir haben drei Insassen des Gefängnisses behandelt und ich habe noch nie jemanden mit einer derart weiten Mundöffnung gesehen. Auch schön: bei dem Mann mussten ein paar Wurzelreste entfernt werden und er wollte jeden einzelnen sehen und hat mir immer ein Daumenhoch gezeigt, wenn ich eine Wurzel raushatte.

Ein weiterer, ganz besonderer Moment dieser Woche war für mich die Behandlung einer Patientin mit Down-Syndrom, die sich mit unfassbar viel Vertrauen in unsere Obhut begab, meine Hand gegriffen und gehalten hat, während Jutta einen Zahn entfernte und mich im Anschluss in eine feste Umarmung zog. Augenblicke wie diese werden mir sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben. Und wenn auch nicht immer alles einfach war oder glatt gelaufen ist: auf den Kapverden würde ich meinem Ich der Vergangenheit definitiv sagen: Mach es! – Nimm nur vielleicht die große Packung Immodium mit … so für alle Fälle.)

Es war ein Abenteuer, in dem ich unglaublich viele Erinnerungen und Erfahrungen sammeln durfte, tolle Menschen kennengelernt habe und weit über mich hinausgewachsen bin.