von Dr. Wolfgang Kehl (E-Mail: dr.wolfgang.kehl [at] t-online.de)
Im März 2020 fand der letzte Einsatz der DWLF auf den Kapverden statt. Corona zwang uns diese Pause auf. Bei dem jetzigen Einsatz vom 05. bis 27.11.21 wollten meine Frau und ich – neben der zweiwöchigen Behandlung vor Ort – erkunden, ob wir im nächsten Jahr die Einsätze wieder freigeben können. Die Inzidenz war mit unter 10 Infizierte pro 100.000 Einwohner sehr niedrig, nachdem sie aber im Mai 2021 auch schon bei 600 lag.
Diese offiziellen Zahlen der kapverdischen Regierung sind aber nur unter Vorbehalt zu betrachten. Getestet werden nur Patienten mit Symptomen, Kinder, bei denen Infektionen i.d.R. asymptomatisch verlaufen, werden demzufolge fast gar nicht getestet. Das mag möglicherweise zu der niedrigen Inzidenzzahl führen. Nach Angabe unserer ärztlichen Kolleginnen soll die Impfquote bei etwa 60 % bei den Kapverdianern über 18 Jahre liegen, alle uns zugeführten Patienten sollen zweifach mit Astra Zeneca oder Biontec geimpft sein.
Vor Ort in Praia waren wir positiv überrascht von der Disziplin der überwiegenden Zahl der Einwohner. Alle trugen medizinische z.T. auch FFP2-Masken, selbst im Freien und in der Haupteinkaufsstraße waren Menschen ohne Maske die Ausnahme und gingen sich selbst Maske tragend „aus dem Weg“. In Restaurants oder Cafés, z.T. oder überwiegend mit Sitzplätzen im Freien, trug das gesamte Servicepersonal Masken. Ebenso waren Taxifahrer ohne Masken schon eher die Ausnahme, teilweise hatten sie sogar Plexi-Trennwände eingebaut. Somit haben wir uns dort ausgesprochen sicher gefühlt, ohne aber unvorsichtig zu sein. Wir haben natürlich auch ständig Masken getragen, haben aber große Menschenansammlungen z.B. im oder um den großen Sukupira-Markt und den Obst- und Gemüsemarkt auf dem Plateau gemieden.
Ebenso sicher haben wir uns in unserer Unterkunft gefühlt, in der wir nun zum zweiten Mal waren und wo wir auch wegen vollster Zufriedenheit zukünftig bei unseren Einsätzen wohnen werden. In dieser privaten Unterkunft sind alle, wie auch die anderen Gäste, bereits zweimal geimpft. Sie gehört einem Franko-Kanadier mit zwei Angestellten, die die elf Zimmer sauber halten und auch bei Bedarf die Wäsche waschen. Man wohnt dort einschließlich Frühstück wie in einer großen Familie mit den anderen Gästen, dazu noch zu einem günstigen Preis. Ferner ist die Logis in der Achada Santo Antonio günstig gelegen mit einem relativ kurzen Weg von ca. 10 Minuten zum Strand.
An unserem Einsatzort in Praia, dem PMI Fazenda, das unterhalb des Plateau und neben dem Sukupira-Markt liegt, wurden die Corona-Schutzmaßnahmen ebenso strikt kontrolliert. Mehrere Security-Uniformierte überwachten die strengen Schutzvorschriften und wiesen auf das Tragen von Masken hin, sofern dies erforderlich war.
Vor der Behandlung haben wir bei allen Patienten zunächst einmal vor Betreten des Behandlungsraumes die Temperatur kontaktlos gemessen. Leider mussten wir kurzfristig einige Patienten wegen leicht erhöhter Temperatur abweisen, bis sich herausstellte, dass diese zuvor der direkten Sonnenbestrahlung im Wartebereich vor dem Zentrum ausgesetzt waren. Nach kurzer Zeit im Schatten war die Temperatur niedriger.
Zu unserem eigenen Schutz trugen wir FFP2 Masken, z.T mit Gesichtsschild. Letzteres erwies sich aber als sehr unangenehm bei der dort herrschenden Hitze. Der generell bestmögliche Eigenschutz war u.a. neben Corona auch deshalb dringend erforderlich, weil an mindestens zwei Tagen verstärkt HIV-positive Patienten bestellt waren, was uns morgens vor Behandlungsbeginn mitgeteilt wurde. Allerdings war dem Personal des Zentrums nicht exakt bekannt, welche Patienten wirklich positiv waren. Normalerweise ist dies auf Patientenbögen/Anamnese verzeichnet. Im Rahmen unserer Behandlungen müssen wir aber aus hygienischer Sicht prophylaktisch ständig so arbeiten, als wäre jeder Patient mit HIV infiziert.
Die Behandlungen waren fordernd und gleichzeitig belastend. Bei bis zu 30°, ausgehangenem oberen Fenster, geöffneter Eingangstür und gleichzeitiger Einstellung der Klimaanlage auf 16 ° machten den Aufenthalt und die Arbeit akzeptabler. Diesmal hatten wir neben vielen Erwachsenen wieder mehrere Klassen mit i.d.R. 8- jährigen Kindern. Wir hatten bei diesem Einsatz das Gefühl, besonders viele Kinder zu haben, bei denen die Notwendigkeit bestand, die bereits z.T. bis zum Zahnfleisch zerstörten ersten Molaren zu entfernen. Dies gipfelte bei einem Jungen mit dem zusätzlichen Befund einer über haselnussgroßen Granulation Richtung Wange mit Durchbruch als Wangenfistel. Nach operativer Entfernung sollte die Kontrolle/ Weiterbehandlung, weil unsere Zeit um war, durch unsere dortige Kollegin Elisabeth durchgeführt werden.
Viel Behandlungszeit erforderte die Behandlung zweier ca. 30jähriger Frauen mit ansonsten kariesfreien Zähnen, aber mit je einer länger bestehenden kariösen Läsion an einem mittleren Schneidezahn mit Eröffnung der Pulpa. Nach Wurzelkanalbehandlung und Wurzelspitzenresektion wurden wir mit übermächtigem Dank überschüttet, denn beide hätten nicht das Geld gehabt, sich bei niedergelassenen Kollegen eine Wurzelkanalbehandlung plus Füllungen zu leisten. Darüber gab es schon bei der ersten Untersuchung und Therapiebesprechung Tränen. Ebenso gab es wieder – neben anderen – viele sehr stark erkrankte Frontzähne. Auch hier war die Dankbarkeit enorm, als die Patientinnen das Ergebnis der zeitaufwendigen Sanierung sahen. Um unser gestecktes Ziel, möglichst jeden Patienten durchzusanieren, zu erreichen, wurden viele Patienten wiederholt zusätzlich zu den bereits gemeldeten einbestellt, was vielfach zu einer langen täglichen Arbeitszeit führte.
Ab Mitte Januar 2022 wollen meine Frau und ich zukünftig durch 4-wöchige Einsätze noch mehr Patienten diesen umfangreichen Behandlungsservice anbieten.
Aufgrund der Coronalage zum Zeitpunkt unseres Einsatzes und dem disziplinierten Verhalten der allgemeinen Bevölkerung, zur Vermeidung einer möglichen Infektion, konnten wir guten Gewissens die Behandlung wieder freigeben. Allerdings müssen wir im Kontakt und nach Absprache mit unseren Kolleginnen vor Ort die Entwicklung der Coronazahlen beobachten. Die Einsätze stehen natürlich unter dem Vorbehalt, dass die Inzidenzen nicht wieder extrem stark ansteigen und der Frage, mit welchen Maßnahmen die Regierungen zukünftig darauf reagieren werden. Z.B. hatte Portugal ab 01.12.21 für alle Flüge nach Portugal eine PCR-Testpflicht eingeführt, die demzufolge auch für Transitpassagiere, also auch für uns auf der Reise nach Kapverden, galt. Alle am erneuten Einsatz Interessierten sollten sich sowohl auf den Seiten des deutschen Auswärtigen Amtes, den Einreisebestimmungen von Portugal und den Kapverden, die sich schnell kurzfristig verändern können, informieren. Ich selbst stehe auch gern für Auskünfte zur Verfügung. Allerdings kann jeder die Entwicklung anhand der offiziellen Statistik der kapverdischen COVID-19-Info-Site verfolgen. Aber absolute Sicherheit gibt es leider nicht.
Unser ausdrücklicher Dank gilt wieder einmal unserer Kollegin Elisabeth mit ihrem Team, die uns vorbildlich – sowohl mit Übersetzung aber auch durch ihre Anwesenheit bis zum späten Behandlungsschluss – unterstützt hat.
Diesmal möchte ich den Bericht nicht mit schrecklichen Befundbildern, wie wir sie von diesen Einsätzen leider immer noch kennen, abschließen, sondern mit positiven Eindrücken, die den Dank für unseren Behandlungseinsatz bedeuten.
So zeigte uns ein junger Mann vor der Behandlung auf seinem Handy in der Translator-App, dass er es ganz toll finde, dass die „guten deutschen Zahnärzte“ die armen Mitmenschen behandeln und bedankte sich ausdrücklich für unser Engagement und dass er selbst die Chance auf eine Behandlung hat.
Zwei blinde Patienten hatten förmlich darauf gewartet, dass wir wieder kommen würden und hatten sofort einen Termin ausgemacht und sich nach der Behandlung überschwänglich bedankt.
Der o.a. Junge mit der Wangenfistel wehrte sich zunächst gegen die notwendige Behandlung und die Betäubungsspritzen durch meine Frau, nach der Behandlung signalisierten wir ihm nonverbal mit Daumen hoch, dass er alles besonders gut mitgemacht hat. Seine Reaktion war die spontane Umarmung meiner Frau. – Unsere vielfache Erfahrung mit Kindern nach deren Behandlung, aber auch von Erwachsenen.
Mit einem sehr persönlichen Geschenk hat eine der Patientinnen nach Frontzahnrestauration mit WSR ihren Dank uns gegenüber ausgedrückt.
Das sind nur einige Beispiele für die überragende Dankbarkeit der von uns behandelten Patienten. Das weckt Emotionen, die sich tief und unauslöschlich in unserem Gedächtnis einprägen. Das ist der „Lohn“ für uns und unsere Mitstreiter, die wie wir weniger private Interessen verfolgen, sondern den humanitären Einsatz als Herzensangelegenheit betrachten und dafür Freizeit oder Urlaub opfern und z.T. auch finanzielle Einbußen hinnehmen.
Allen dafür herzlichsten Dank.