von Dr. Carsten Wenzel (E-Mail: Dr.CarstenWenzel [at] me.com)

Einsatz auf den Kapverden, auf der Insel Santiago/Santa Cruz
vom 5. bis 18.12.2016

Wieder einmal heißt es „Wo ist der Schmerz“? Diesmal auf kreolisch, denn es geht auf die Kapverdischen Inseln. Genauer gesagt die „Inseln über und unter dem Wind“, wie wir es aus dem Reiseführer erfahren. Was das alles wirklich bedeutet lässt sich erst erfahren, wenn wir wirklich dort sind. Und so bereiten wir uns mit einem rudimentären Wortschatz, der die Kommunikation und die Angst mit unseren Patienten vor dem „weißen Zahnarzt“ erleichtern soll, auf unseren Einsatz vor.

Die Kapverdischen Inseln liegen geographisch gelegen südlich, unterhalb der Kanarischen Inseln und westlich gegenüber dem Senegal, auf dem afrikanischen Kontinent. Sie haben in der Geschichte leider traurigen Ruhm erlangt als Umschlagplatz für Sklaven. Seit 1975 sind die Kapverdischen Inseln unabhängig und seit wenigen Jahrzehnten mit zwei der neun Inseln nicht mehr wegzudenken aus exklusiven Reiseführern. Aber leider gibt es auch noch andere Bilder, die den Hochglanzfotos der weißen Traumstrände widersprechen. Nach wie vor sind die Kapverden ein Entwicklungsland, mit Santiago als Hauptinsel und ihrem Regierungssitz in Praia. Und genau dorthin wird der Hilfseinsatz führen.

Als zufällige Kombination aus hilfewilligen Zahnmedizinern werden wir aus Kiel (Lara Koopmann), dem Schwarzwald (Julia Goerke), dem Frankfurter Raum (Dr. Carsten Wenzel) und selbst aus Österreich (Dr. Hannes Klauscher) nacheinander vom Flughafen von den DWLF-Mitarbeitern vor Ort sicher abgeholt und treffen in dem sehr großzügigen Domizil zusammen.

Die Motivation der einzelnen Teilnehmer ist sehr hoch und wir finden uns schnell als Team zusammen und besprechen erwartungsvoll die anstehenden Aufgaben.

Wobei die erste deutsch-österreichische Zusammenarbeit schon zu Beginn zu einer deutsch-österreichische Freundschaft zusammenwuchs, da unser Kollege Dr. Hannes Klauscher eigens handgebackene Weihnachtsplätzchen in einer großen Dose, zusätzlich zu den 20 Kg  zahnmedizinischem Übergepäck, ohne Probleme mit durch den Zoll gebracht hatte.

Eine erste Einsatzbesprechung findet noch vor dem eigentlichen Wochenbeginn durch den Hauptkoordinator vor Ort Dr. Ozias Fernandes statt, der uns besucht und die brennendsten Fragen klären konnte.

Der tägliche Einsatz gestaltet sich dann so, dass wir von einem DWLF-Fahrer zu dem knapp 45 Minuten entfernten Ort Santa Cruz gebracht werden, wo wir in Zusammenarbeit mit dem hiesigen Gesundheitszentrum gemeinsam die Patientenversorgung der Bevölkerung bereitstellen. Die Fahrt dorthin zeigt immer wieder die Ambivalenz der Schönheit der Insel, mit ihrer übergrünen Vegetation, wie auch die schwierige Lebenssituation durch zerklüftete hügelige Landschaften, um der Natur einiges an Nahrung abzuringen. Und so führte uns unser Weg durch sehr kleine ärmliche Dörfer, wo Menschen an den Straßenrändern versuchen immer wieder Waren feil zu bieten. Und der Blick in die Gesichter der Menschen ließ erahnen, wie unser Patientenklientel sich zahnmedizinisch darstellen wird. Die Hilfe zur Selbsthilfe steht – wie bei allen Hilfsorganisationen – immer an oberster Stelle. Und so freuten wir uns auf den mit DWLF zusammenarbeitenden kapverdischen Zahnarzt Frederico. Die Einweisung in die Situation vor Ort erfolgte schnell und die Möglichkeit der Übersetzung durch Frederico machte vieles doch einfacher. Das zahnärztliche Team wurde noch durch zwei Mitarbeiterinnen, Lina und Timi ergänzt, die für Dokumentation und die Desinfektion und Sterilisation der benutzten Instrumente verantwortlich sind. Und so nehmen wir unsere Arbeit an zwei mobilen Stühlen und einer Zahnarzteinheit auf.

Wir erfahren auf diesem Teil der Erde, was es heißt, als Menschen mit weißer Hautfarbe und anderen europäischen Merkmalen in der Minderheit zu sein. Und doch sind wir privilegiert, denn wir kommen als Ärzte in diese Länder und erfahren so gleich eine andere Anerkennung und Gesellschaftsposition. Dennoch kann man sich gut vorstellen, dass unsere Patienten dabei noch ein wenig mehr Angst haben müssen, wenn sie auf dem Zahnarztstuhl Platz nehmen. Empathie und nonverbale Kommunikation ist deshalb hier der Schlüssel zu den verängstigten Herzen der Menschen.

Wie auf anderen Einsätzen dominieren bei der Behandlungen die chirurgischen Eingriffe, in Form von Extraktionen und dem Entfernen tief zerstörter Zähne im Kiefer. Aber schnell wurde auch klar, warum wir als letztes Team tatsächlich das Schlusslicht dieses Einsatzortes bilden. Der Sanierungsgrad ist hier deutlich zurückgegangen und wir sehen zum Teil sehr schöne Zahnreihen, die von der einjährigen Einsatztätigkeit von DWLF zeugen und tatsächlich nur kleinere Füllungen, Kontrollen und Zahnsteinentfernung sowie Hygieneunterweisungen bedürfen. Dies lässt uns als zahnärztliches Team für DWLF sehr stolz werden, denn wir können „live“ miterleben, dass unsere Einsatztätigkeit in unterentwickelten Gebieten endlich ist und die lokale Gesundheitsversorgung von den einheimischen Fachärzten wieder übernommen werden kann. Insofern erfahren wir auch mit Freude von neuen Einsatzgebieten, die von DWLF als flächendenkende Maßnahme auf den Kapverdischen Inseln realisiert werden sollen.

Den Empfehlungen der vorherigen Einsatzteams folgend, fuhren wir am ersten Wochenende nach Einsatzende gegen Mittag gemeinsam nach Tarrafal und wurden entlohnt mit einem wirklichen Strandkurzurlaub, der uns schwelgen ließ in Wellen, Hängematten, Caipirinhas und Sonnenuntergängen. Auch den Wanderfreuden wird mit dem Monte Graciosa eine einzigartige Landschaft und Panorama geboten. Jedoch sollte man unbedingt einen Guide bei dem lokalen Touristikbüro buchen, um – wie aus eigener Erfahrung – sich bei der Vielzahl der kleinen Wege nicht zu verlaufen und die Wanderzeit von knapp 4 Std. nicht unnötig auszudehnen.

Wir haben unserseits jedoch unseren Kurztrip in Absprache mit unserem Fahrer bis Montag morgen ausdehnen können und wurden dann von ihm direkt wieder zu pünktlich zu unserem Arbeitsort am Montag morgen gebracht.

Die zweite Woche gestaltet sich dann unproblematisch und sehr effektiv, weil wir als Team alle sehr gut miteinander harmonierten.

Am Ende unseres Einsatzes lässt sich unsere Hilfe natürlich auch in Zahlen beziffern. Und so stellen wir erstaunt fest, dass wir tatsächlich in zwei Wochen 270 Patienten, 290 Extraktionen, 252 Füllungen und 99 Zahnsteinentfernungen durchgeführt haben. Diese nackten Zahlen waren jedoch mit so vielen kleinen Bekanntschaften, Anekdoten, Wissenswertem über die einheimische Bevölkerung, Tröstungen und Lächeln und Glück über wieder hergestellte schöne Zähne und einigem Improvisationstalent, bei Strom und Wasserausfall und diversen Reparaturmöglichkeiten unserer technischen Geräte gefüllt, dass die Zeit im wahrsten Sinne wie im Flug vorüber ging.

Ein besonderes Highlight bliebe aber noch zu nennen. Am Ende unseres zweiwöchigen Arbeitseinsatzes besuchten wir eine Grundschule mit knapp 90 Schülern, denen wir  mit Händen und Füßen – nein eher mit “Händen und Zahnbürsten“ – die Bedeutung der Prävention vor Löchern in Zähnen und deren Auswirkungen auf den Körper erklärten.

Wir wollten in der sehr ärmlichen Schule den Kindern eine Show bieten, die sie mit einem Lachen immer wieder an die Wichtigkeit des Zähneputzens erinnern sollten, ohne mit dem Zeigefinger zu mahnen. Nach dem Schlussapplaus, den offenen Mündern, während der Vorführung und dem Lachen zu urteilen ist uns dies wohl auch gut gelungen.

Zu überprüfen unter:

(Suchbegriff bei Youtube: Dr. Carsten Wenzel, Zahnärzte ohne Grenzen)

Ein Kind fiel meiner Frau, die uns bei dem Schulbesuch begleitete, dabei besonders auf. Trug es doch – wie sie selbst- ein Hörgerät. Auf Nachfrage erfuhr die Pädagogin, dass das Hörgerät des Jungen zwar durch staatliche Stellen bereitgestellt wurde, jedoch sowohl weder Batterien zur Verfügung stehen, da diese nicht erschwinglich sind, als auch keine Anpassung an das Gerät erfolgte. Der ohnehin stigmatisierte Junge trägt also seit knapp einem Jahr ein Hörgerät ohne Funktion! Dennoch konnte meine Frau durch Demonstration ihrer eigenen Hörgeräte und Solidarisierung mit diesem Kind, den anderen Kindern eine andere Sicht auf ihren Schulkollegen vermitteln – und ihm eventuell ein wenig mehr Selbstvertrauen und Mut geben.

Am Ende unseres Besuches übergaben wir dann auch die vielen gesponserten Zahnbürsten und Zahnpasten an jedes Kind und haben noch einmal gemeinsam die Zähne vor Karies und Konsorten gerettet und sauber geputzt.

An dieser Stelle einmal ein Dank an alle unsere Unterstützer, die uns in finanzieller oder auch materieller Art so protegieren, dass wir solche Einsätze vor Ort realisieren können.

Eine besondere Anerkennung gilt aber auch hier einmal DWLF, die im Vorfeld viel Logistik, Gespräche mit Behörden und Ämtern in Deutschland und vor Ort in den Einsatzgebieten, Bereitstellung von Unterkünften für die Einsatzteams, Sicherstellung, dass für uns Zahnmediziner keine körperlichen Gefährdungen bestehen und die Akquise von Mitarbeitern, damit wir in solchen Einsatzgebieten wie auf den Kapverden überhaupt helfend tätig werden können.

Dass Menschen, obgleich tausende von Kilometern von einander entfernt, doch gleich empfinden wurde uns dann wieder bewusst, als wir zum Schulabschied von den Kindern ein sehr bekanntes Weihnachtslied auf den Kapverden in kreolischer Sprache zu hören bekamen.

Und so wünschen wir auch DWLF und allen nachfolgenden Teams: Fröhliche Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr 2017, von den Kapverden!

Tudo bem!